Rezension (5/5*) zu 1933 war ein schlimmes Jahr: Roman von John Fante.

Momo

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10. November 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu 1933 war ein schlimmes Jahr von John Fante
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1933 war ein schlimmes Jahr

Wenn man 1933 liest, dann denkt man automatisch an das Dritte Reich Deutschlands. Nein, hier ist nicht das Dritte Reich Deutschlands gemeint, denn der Roman führt uns nach Amerika, wo zu dieser Zeit auch die Weltwirtschaftskrise grassierte.

Der Roman behandelt die Geschichte eines 17-jährigen Schülers namens Dominic Molise, dessen Eltern recht einfache Leute sind und die schon in der dritten Generation in Amerika leben. Schon Doms Großeltern wanderten nach Amerika aus. Der Großvater ist mittlerweile verstorben. Seine Großmutter Bettina lebt mit Doms Familie im Haus. Eine recht engstirnige, geizige alte Dame, die nicht viel von Amerika hält, und an ihren Sehnsüchten Italiens hängen geblieben ist. Doms Vater ist selbständiger Maurer und ist von Armut gezeichnet, da er als Maurer nicht wirklich gut verdient, und hoch verschuldet ist. Die Weltwirtschaftskrise erschwert die finanzielle Lage um Weiteres. Der Vater wirkt ein wenig schräg, hält an Idealen fest, mit Dom eine Vater/Sohn-Maurerfirma zu gründen, sobald Dom die Schule hinter sich gebracht hat. Dom möchte aber kein Maurer werden, er träumt stattdessen von einer Karriere als Baseballspieler. Der Vater hält nicht viel von dieser Sportart ... Irgendwie wirkt der Vater recht unsympathisch. Vielleicht auch altmodisch. Außerdem begeht er Seitensprünge, verbringt die meiste freie Zeit im Billardclub, während Doms Mutter wie ein Opfer allein zu Hause sitzt und sich die beste Mühe gibt, ihm noch zu gefallen, da der Vater für sie kaum noch emotionales und sexuelles Interesse zeigt. Dom durchschaut seinen Vater, er weiß um die Seitensprünge …

Ich fand das erste Kapitel total gut. Der Sarkasmus, die bildhafte Sprache und die Selbstreflexionen fand ich sehr bemerkenswert. Dies hat mich etwas an meine Jugendzeit erinnert. Mit 14 und 17 Jahren hatte auch ich komplett mein anerzogenes religiöses und gesellschaftlichen Weltbild auf den Kopf gestellt.

Domenic hält Selbstgespräche:

Zitat:
"Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, wieso es so viel Böses gibt, wo Gott doch so gütig ist, oder wieso unser allwissender Gott die Menschen nach seinem Ebenbild erschafft, um sie doch in die Hölle zu schicken. (...) Dann kannst du dich zurücklehnen und dir den Kopf darüber zerbrechen, wie Gott wohl aussieht und wieso verkrüppelte Babys zur Welt kommen und wer Hunger und Tod geschaffen hat." (2016,10)

Zu seiner Grübelei hat mir dieses Bild gefallen, als er sich auch über das Sterben und über Tote Gedanken gemacht hat:

Zitat:
"Warum wälze ich solche Gedanken und machte die Welt zu einem Friedhof? Fiel ich von meinem Glauben ab? Oder war es, weil ich arm war? Unmöglich. Alle großen Baseballspieler waren Kinder armer Leute gewesen." (11)

Und auf Seite 19 nimmt er die ganzen Klischees auf die Schippe. Interessant, wenn Menschen fraglos Klischees, die es in einer Gesellschaft gibt, übernehmen und damit sich selbst und andere diskriminieren. Das fand ich ganz klasse. Kennen wir ja auch von uns hier in Deutschland, Vorurteile anderen gegenüber. Für alles gibt es eine Schublade. Die Mutter des Jungen, die nie in Kalabrien und Sizilien gewesen ist, spricht so abfällig über diese Menschen. Da musste ich an Astrid Lindgrens Buch denken, die klischeehaft über Amerika, Italien und Paris geschrieben hat.

Hierzu Doms Gedanken, der sich ein wenig über diese klischeehafte Denkweise seiner Großmutter und seiner Mutter belustigen tut:

Zitat:
"Nach Grandma Bettinas Ansicht waren die Leute aus Potenza gleich nach den Amerikanern die lächerlichsten Leute der Welt. Nicht, dass Grandma jemals selber in Potenza gewesen wäre und den Ort mit eigenen Augen gesehen hätte, aber sie hat ihr ganzes Leben wilde Geschichten über die Potenzesi gehört. Weil die Abbruzzer jemanden brauchten, auf den sie hinabschauen konnten, hatten sie sich auf Potenza geeinigt; genauso, wie die Kalabresen die Sizilianer verachteten und die Neapolitaner alles südlich von Neapel verhöhnten, während die Römer sich erhaben über die Neapolitaner fühlten und die Florentiner über die Römer die Nase rümpften. Für die Abruzzen waren die Leute aus Potenza nationale Witzfiguren, als würden dort nur Zwerge in schiefen Häusern wohnen. Mein Vater grinste jedes Mal herablassend, wenn die Rede auf Potenza kam. Er hatte, Gott stehe ihm bei, versehentlich die Tochter eines Mannes aus Potenza geheiratet, aber er trug es mit Fassung und war guten Willens, ironisch über den Streich zu lächeln, den ihm das Schicksal da gespielt hatte; auch hatte er jederzeit die Größe, seiner Gattin ihre Eltern zu verzeihen (…) Mama hielt ein Ohr an Grandma Bettinas Tür, dann schnalzte sie nachsichtig mit der Zunge - denn die Leute aus Potenza schauten ihrerseits auf die Abbruzzer hinab.
>>Sie meint es ja gut, das arme alte Ding<<, sagte Mama. >>Sie hat so ein schweres Leben gehabt … Alle diese Leute.<<
>>Was für Leute?<<
>>Die aus den Abbruzzen. Kein Wunder, dass sie so grob und schlecht gelaunt sind. Dort gibt es nichts als Felsen und ein paar Ziegen und kein elektrisches Licht. Wie in Kalabrien und Sizilien und all die armen Gegenden.<<
Meine Mutter war nie dort gewesen. War niemals irgendwo gewesen außer in einem Mietshaus am Rand von Chicago." (19)

Diese Textstellen fand ich höchst interessant.


Mein Fazit?

Es ist mir bekannt, dass Italien ein Land ist, in dem die ItalienerInnen Rassimus gegen die eigenen Landsleute hegen. Ich kenne kein anderes Land mit solch einem Rassismus, wie er in Italien "zelebriert" wird. Aber es stellt sich mir die Frage, wenn schon Doms Mutter Italien noch nie gesehen hat, was ist da schief gelaufen, dass sie die Identität als Italienerin übernommen hat? Kulturunreflektierte Menschen hinterfragen das Welt- und Menschenbild nicht in komplexer Form, sie übernehmen somit die Identität ihrer Eltern, die Identität, die ihnen anerzogen wurde. Dies ist aber bei den meisten Menschen, was die Identitätsentwicklung betrifft, nicht anders …

Den Schluss, der für Überraschungen sorgt, mit denen man partout nicht gerechnet hat, fand ich genial. Und auch das Nachwort habe ich mit großem Interesse gelesen, weil Alex Copus wichtige Informationen über die Entstehung und weitere Hintergründe dieses Romans gegeben hat.