Rezension Rezension (4/5*) zu Wolf unter Wölfen: Roman von Hans Fallada.

Emswashed

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9. Mai 2020
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Buchinformationen und Rezensionen zu Wolf unter Wölfen: Roman von Hans Fallada
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Tierische Zeiten

Rudolf Ditzen (1893- 1947) wurde gerade mal 53 Jahre alt , war alkohol- und morphinsüchtig, schon in seiner Schulzeit "schräg" drauf (ein als Duell getarnter Doppelsuizid war nur für seinen Kameraden tödlich) und im Dritten Reich ein gern gelesener Autor... hmm, also was will ich eigentlich mit diesem, mir scheinbar unsympathischen, Mann? Lesen!

Wer viel erlebt, kann auch was erzählen und darf es (von mir aus auch unter dem Pseudonym Hans Fallada) unter die Leute bringen. Wenn es denn, zwar in epischer Länge, aber keine Minute langweilig, mit hohem Personalaufwand, aber nicht verwirrend, politisch, aber nicht trocken und vor allen Dingen die Weimarer Republik in Zeiten der Inflation betrifft. Eine Zeit also, die noch unsere (Ur-)Großeltern miterlebten, somit auch zu unserer jüngeren Geschichte zählt.

Der junge Wolfgang Pagel lebt in Berlin zur Untermiete und verdient seinen Unterhalt mehr schlecht als recht mit Glücksspiel. Als wieder einmal alles schief läuft und auch die letzte Kleidung seiner Freundin unwiderruflich verpfändet ist, trifft er durch Zufall seinen ehemaligen Vorgesetzten aus seiner Militärzeit im Ersten Weltkrieg, Rittmeister von Prackwitz.
Wolfgang wähnt sich in einer aussichtslosen Situation und lässt sich schnell von Prackwitz überreden, noch am selben Tag mit nach Gut Neulohe zu kommen und dort für ihn als Verwalter zu arbeiten. Er schämt sich, seiner Freundin, der er am selben Tag die Ehe versprochen hatte, völlig abgebrannt unter die Augen zu treten und will sie erst erretten, wenn er es "zu was gebracht" hat.
Die Freundin indes, halbnackt und hungrig, wird gleich von der Vermieterin aus dem Zimmer geschmissen und auf der Strasse wegen Unsittlichkeit festgenommen.

Aber der Rittmeister von Prackwitz kann dem jungen Pagel auch nicht das versprochene ruhige Leben auf dem Land bieten, hat er doch selber weder Verständnis für seine Familie, noch die Umsicht in den Zeiten der galoppierenden Inflation die horrende Pacht an den verhassten Schwiegervater zu zahlen, der ein Schlitzohr und verstockter Mann aus dem Landadel ist, der seiner Tochter nicht aus der Patsche helfen und seinen Schwiegersohn vernichten will.

Das Personal und die Dorfbewohner wiederrum sehen zu, wie sie ihre eigenen Schäflein ins Trockene bringen und mit der rasenden Geldentwertung klarkommen. Die Sehnsucht nach geordneten und zuverlässigen Verhältnissen ist extrem und so ist es nicht verwunderlich, dass sie sich schon bald vom "Altmilitär" zu einen Putsch verführen lassen.

Waffen werden im Wald vergraben, Gänse über den Haufen geschossen, Bacchanale im Schloss gefeiert und Prackwitzes vermeintlich jungfräuliche Tochter vom Diener entführt. Was hier wie eine verwickelte Komödie aus den 60ern anmutet entpuppt sich als komplexes und schlüssiges Abbild der Gesellschaft die sich im Umbruch befindet. Fallada hat sich dabei auf sein Wissen um Zeit und Ort aus den eigenen Erlebnissen bedient und scheut sich nicht, den Finger in die vermodernde Wunde der kranken Gesellschaftsstruktur zu legen. Er spielt nicht nur mit der Gehorsamkeitskultur zum Militär, sondern auch mit der vorgeblichen Überlegenheit des alten Adels, lässt die Menschen verrückt werden, oder bekehrt sie dann doch noch zum Guten.

Ein intelligenter Roman, der meinen umso höheren Respekt verdient, seit ich weiß, wie Rudolfs reales Leben aussah.