Reither, bis vor kurzem Kleinverleger in einer Großstadt, nun in einem idyllischen Tal am Alpenrand, hat in der dortigen Bibliothek ein Buch ohne Titel entdeckt, auf dem Umschlag nur der Name der Autorin, und als ihn das noch beschäftigt, klingelt es abends bei ihm. Und bereits in derselben Nacht beginnt sein Widerfahrnis und führt ihn binnen drei Tagen bis nach Sizilien. Die, die ihn an die Hand nimmt, ist Leonie Palm, zuletzt Besitzerin eines Hutgeschäfts; sie hat ihren Laden geschlossen, weil es der Zeit an Hutgesichtern fehlt, und er seinen Verlag dichtgemacht, weil es zunehmend mehr Schreibende als Lesende gibt. Aber noch stärker verbindet die beiden, dass sie nicht mehr auf die große Liebe vorbereitet zu sein scheinen. Als dann nach drei Tagen im Auto am Mittelmeer das Glück über sie hereinbricht, schließt sich ihnen ein Mädchen an, das kein Wort redet, nur da ist …Kaufen
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Reither hat sich in seinem Leben eingerichtet. Seinen Verlag und seine Buchhandlung konnte er so verkaufen, dass er sich die Wohnung in einer Anlage mit Empfang leisten kann. Aus der Büchertauschecke hat er ein selbstverlegtes Bändchen mitgenommen. Gerade will er es sich mit Käse, Wein und dem Buch bequem machen, da bemerkt er, dass jemand vor seiner Tür steht. Erst nach einer Weile klingelt es und so lernt Reither seine Nachbarin Leonie Palm kennen, die nur Palm genannt werden will, weil der Vornahme etwas anbiedern sympathieheischendes hat. Plaudernd verbringen die beiden den Abend im April. Und kurzentschlossen machen sie sich gemeinsam auf den Weg mit Palms Wagen, um den Sonnenaufgang zu erleben.
Die Fahrt dauert etwas länger als man zunächst vermutet, denn bis zum Sonnenaufgang sind es noch ein paar Stunden. Das ungleiche Paar, das sich doch irgendwie gefunden hat, landet über Österreich in Italien. Man stelle sich dort das Frühjahr vor, das Aufquellen des Lebens, das Gleißen der Sonne. So eine Fahrt in die Sonne scheint das Buch zu sein, wären da nicht ein paar Wermutstropfen, die in die glückliche Zufriedenheit fallen. Kleine Andeutungen, die man beim Lesen kaum bemerkt. Allerdings nimmt es nicht wunder, denn von Menschen, die das Rentenalter beinahe erreicht habe, darf man vermuten, dass es Erlebnisse gab, die sie mitgenommen haben. So hat Reither seine Familie verloren, bevor es sie überhaupt gab, und Palm verlor die ihre, welche sie tatsächlich gehabt hat.
Die Fahrt in den Sonnenaufgang bekommt nach und nach etwas Schwermütiges. Das langsame Einsickern der Erkenntnis, dass sich hier zwei nur für eine gewisse Zeit gefunden haben. Die beginnende Hoffnung auf ein vollständigeres Leben ist bald dahin. Tragisch, dass Reithers Bemühen nicht in eine gemeinsame Zeit führt. Mit Wehmut erlebt man den glühenden Sonnenaufgang, der nicht in sonnige Tage mündet, sondern eher in eine Melancholie weckende Erinnerung. Eine Widerfahrnis, der man sich aussetzen sollte, eine, die das Herz berührt.
4,5 Sterne
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