Rezension Rezension (4/5*) zu Widerfahrnis von Bodo Kirchhoff.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Buchinformationen und Rezensionen zu Widerfahrnis von Bodo Kirchhoff
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Amavero - Ich werde geliebt haben...

Von der Möglichkeit einer Liebe handelt diese preisgekrönte Novelle, von einer Reise in den Süden, in die Vergangenheit, in einen Abschied, von Verdrängung, von Schuld - von zwei Leben.

Viel Stoff für ein kurzes Buch, vieles leise zwischen den Zeilen, viel Raum für Interpretationen, passend geschneidert auf das eigene Leben des Lesers - eines jeden Lesers?

Zwei Menschen: ein Mann, eine Frau, abseits ihres früheren Lebens, gestrandet in einer luxuriösen Wohnanlage in einem kleinen Tal am Alpenrand. Reither, früherer Verleger eines kleinen, exklusiven Verlags, ein Arbeitsleben lang bemüht um das Schleifen der Wörter, die Exaktheit des Ausdrucks, das Wesen der Sprache - doch nun, da es mehr Schriftsteller als Leser zu geben scheint, ein resignierter Rückzug. Und Leonie Palm, einst Besitzerin eines Hutladens, doch in Zeiten, da es immer weniger Gesicher für ihre Hüte zu geben scheint, gab auch sie ihr Geschäft auf.


"Nein, kein Paar. Nur Mann und Frau. (...) Ein Du taugt nur etwas, wenn es aus dem Sie hervorgeht."


Eine Begegnung in der Nacht. Die Palm läutet bei Reither, nachdem sie ihn einige Stunden zuvor zufällig in der Bücherecke des Kaminfoyers stehen sah, ein Buch in der Hand. Ein Gespräch, einige gemeinsame Zigaretten, etwas Wein, ein Kaffee. Und dann die spontane Fahrt mit dem kleinen Cabrio der Palm, eine Probefahrt in der Nacht, raus aus dem Schnee, in den Sonnenaufgang. Doch beim geplanten Ziel nicht kehrtgemacht, sondern weitergefahren, in den Süden, in den frühen Sommer in Sizilien. Kaum ein Halt, das Autofahren als Katalysator - eine Reise zueinander, eine Reise auch in die Vergangenheit.


"Rauchen wir vorher noch eine? Sie hielt die Hand auf, und er legte eine Zigarette hinein, sie steckte sie zwischen die Lippen, er gab ihr Feuer, sie hielt die Hand schützend um die Flamme, obwohl das Fenster nicht auf war, und er die Hand schützend um ihre, obwohl die Zigarette schon brannte - das alte, stille Vorgehen. Dann steckte er sich auch eine an und sah zu der Frau, die mit ihm in der Dunkelheit eine Autofahrt machen wollte. Na, denn, sagte er."


Die Hauptmotive der Vegangenheit der beiden Hauptcharaktere lässt Kirchhoff ebenso rasch erscheinen wie er die wachsende Liebe von Reither und Palm vorantreibt. Getriebene, so scheint es, sind die beiden, rastlos in Raum und Zeit, kein längerer Halt, weiter, immer weiter. Hin auf ein Ziel, weg von unangenehmen Themen. Reither, der eine große Liebe verlor, weil er sich gegen ein werdendes Leben entschied - Palm, die ihre einzige Tochter an einen Suizid verlor und ihren unaussprechlichen Schmerz darüber in einem kleinen Buch zum Ausdruck brachte.


"Wir sind schon auf der Strecke zum Brenner, und wenn wir hier weiterfahren, geht es über die Alpen, sagte er. Über alle Berge, Leonie, das wollten Sie doch."


Distanziert ist die Sprache, virtuos, wohlgefeilt jedes Wort, nichts dem Zufall überlassen. Spröde gezeichnet die Charaktere, wenig direkte Rede, dann integriert in den Fließtext ohne Anführungszeichen. Bilder, Beobachtungen, Gedanken prägen das Geschehen, kein überflüssiges Wort, vieles ungesagt. Und doch, bei aller Distanziertheit, bei aller Desillusioniertheit der Charaktere, sind sie da, die Emotionen, zwischen den Zeilen, in dem Raum, den der Leser mit seinen Erfahrungen füllen, wiedererkennen kann.


"Erinnerungen sollten wie Abschnitte in einem Handbuch sein, nur dazu dienen, in bestimmten Situationen die richtigen Worte in richtiger Reihenfolge zu sagen, aber es sind Einflüsterungen, die einen betören oder mit Schmerz erfüllen oder beides."


Eine Liebe im Alter, ein unerhofftes Verlangen zueinander, eine Nähe trotz allem. Doch 'amavero' - Ich werde geliebt haben - nimmt das Ende der Erzählung vorweg. Passend. Überraschend. Melancholisch.

In jüngeren Jahren hätte mich das Buch vermutlich nicht angesprochen, doch da sich Kirchhoff eher an eine etwas reifere Leserschaft wendet, hat mich die Erzählung getroffen. Und arbeitet weiter. Zwischen den Zeilen...


© Parden

von: Andreas Winkelmann
von: Alexander Häusser
von: Knut Hamsun