Rezension Rezension (4/5*) zu Widerfahrnis von Bodo Kirchhoff.

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Buchinformationen und Rezensionen zu Widerfahrnis von Bodo Kirchhoff
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Ohne Worte

Widerfahrnis von Bodo Kirchhoff

Da Bodo Kirchhoff mit dieser Novelle den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, war ich sehr neugierig auf dieses Buch. Im Vorfeld sah ich viele Lobeshymnen, aber auch sehr viele negative Kritiken. Also wollte ich mir mein eigenes Bild machen,allein schon des Titels wegen, den ich nicht greifen konnte.

Julius Reither, ehemaliger Verleger, trennte sich von Verlag und allem aus seinem alten Leben, wohnt nun in einer überschaubaren Wohnanlage. Er geht auf die 70 zu, und hadert mit seinem Leben. Eine frühere Beziehung verlief schwierig und zehrt immer noch an ihm. Er wirkt verdrossen, sehr unnahbar. Sein Lebensinhalt besteht zur Zeit aus Büchern, seinen Zigaretten und hier da einem Gläschen des apullischen Weins, mit dem er so viel vergangenes verbindet. Als dann eine für ihn fremde Frau an seine Tür klopft, passiert das unfassbare. Die zwei beschließen mit dem Auto der Frau, Leonie Palm, eine Spritztour zu machen, mitten in der Nacht, ohne sich ansatzweise zu kennen. Diese Tour bringt die beiden dazu sich gegenseitig von ihrem Leben zu erzählen, und aus dem Trip wird eine Fahrt entlang der italienischen Küste.

Bodo Kirchhoff fasst diese Geschichte zusammen, ohne wörtliche Rede zu nutzen. Dieses hat dann einen erzählenden Charakter, der zwar Gewöhnungsbedürftig ist aber nach kurzer Zeit hat man es verinnerlicht. Er erzählt aus Reithers Sicht, was manchmal etwas brüsk erscheint, es passt aber dennoch, da es für mich die Art, dieses Mannes, zu denken, näher brachte.
Seine Gefährtin, oft einfach nur als " die Palm" bezeichnet, ist Reither nach kurzer Zeit schon sehr verbunden. Dies drückt er nicht direkt aus, mir als Leser wurde dies eher durch seine Handlungen klar, die an ein vertrautes Paar denken lassen. Es wirkt manchmal so, als wenn die beiden ihren unterdrückten Sehnsüchten freien Lauf lassen. Dabei spielt es nun an diesem Punkt keine Rolle, ob das was sie tun richtig oder falsch ist, sie tun es, weil es sich momentan richtig anfühlt.
Und genau das ist es auch, was mich an dieser Novelle so fasziniert, vieles wird unterschwellig suggeriert. Der Leser muss zwischen den Zeilen lesen, dann trifft er auf Antworten zu den elementarsten Fragen.

Sowohl Reither, als auch Leonie Palm, haben in ihrem Leben ständig das Gefühl gehabt, dass es anders hätte laufen müssen. Mit einigen Dingen findet man sich ab, einige Erlebnisse treten nur in den Hintergrund. Und über eben diese Geschehnisse entsteht die Basis, die zwischen den beiden entsteht. Auch wenn meist nur Fakten ausgetauscht werden, und echtes Gefühl wenig zum Thema gemacht wird, verbindet es die beiden. Vieles wird wahrgenommen, unterschwellig, durch Umschreibungen, durch Handlungen die die Protagonisten ausführen.

Ein Thema, welches auch Erwähnung findet, ist das Flüchtlingsthema. Wollte der Autor etwas aktuelles in die Novelle einbringen? Denn für mich war es eher ein Aspekt neben dem Hauptgeschehen, dass auch ohne ausgekommen wäre. Das, oder ich hätte mir ein anderes Ende gewünscht. Das überschattet für mich alles ein wenig.

Kirchhoff ist in meinen Augen ein Autor, der sich eher an älteres Publikum richtet. Kann da nur von mir persönlich sprechen, aber ich hätte in jungen Jahren den Wert dieser Lektüre nicht erkannt. Vielleicht fehlt dem ein oder anderen auch, dass Gefühle nicht klar formuliert werden, mir machte es Spaß nach versteckten Wahrnehmungen zu suchen. Ob ein Buch gefällt oder nicht liegt ja immer im Sinne des Betrachters, und mir hat dieses Buch gefallen, allein schon wegen seiner Andersartigkeit.

 
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