Rezension (4/5*) zu Wenn ich wiederkomme von Marco Balzano

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.620
16.624
49
Rhönrand bei Fulda
" ... diese sterbende Welt ..."

"Wenn ich wiederkomme" beschäftigt sich mit Frauen, die in unserer Gesellschaft allgegenwärtig sind, aber trotzdem so gut wie unsichtbar. Es geht um osteuropäische Pflegerinnen, die ihre Heimat - in der es keine adäquate Arbeit gibt - verlassen, um sich um in sozial weit besser gestellten Familien um pflegebedürftige Menschen zu kümmern. Bei uns in Deutschland sind es meist Frauen aus Polen; in Italien, der Heimat des Autors, sind es Rumäninnen. Eine von ihnen ist Daniela, eine gute ausgebildete Frau aus dem Dorf Rădeni unweit der Grenze zu Moldawien. Sie ist verheiratet, hat einen Sohn namens Manuel, zwölf Jahre alt, und eine acht Jahre ältere Tochter namens Angelica. Nachdem ihr Mann arbeitslos geworden ist und sich seit einem Jahr nur halbherzig bzw. gar nicht um neue Arbeit kümmert, entschließt sie sich zu einem verzweifelten Schritt: Sie verlässt ihre Familie Knall auf Fall und reist nach Mailand, um dort eine Stelle als Pflegerin zu suchen.

In drei Kapiteln erfahren wir die Auswirkungen auf die Familie. Das erste berichtet aus der Sicht von Manuel, des Sohnes, der sich verlassen fühlt und mit der Mutter und den ganzen Umständen hadert. Die beiden versuchen, per Smartphone Kontakt zu halten, aber das sind natürlich nur halbe Sachen. Dem Wunsch der Mutter, dass er sich in der Schule anstrengt und gute Noten erzielt (damit sich ihr Wegzug wenigstens gelohnt hat) begegnet er mit zunehmendem Trotz. Als der Vater endlich auswärts Arbeit annimmt und die Schwester zum Studium wegzieht, bleiben ihm nur noch die Großeltern. Im zweiten Kapitel wechselt die Perspektive zu Daniela. Wir erfahren, wie sie sich in Italien zurechtzufinden versucht, ihre verschiedenen Arbeitsstellen (darunter auch eine als Kindermädchen) als "Angelernte" ausfüllt, Ausbeutung und Verachtung ertragen muss. Im dritten Kapitel schließlich erzählt die ältere Tochter Angelica, die eigentlich an Manuel Mutterstelle vertreten soll, ohne das recht zu können oder auch nur zu wollen. Nach außen hin profitiert sie am meisten vom Einsatz ihrer Mutter - sie studiert erfolgreich, könnte ein selbständiges Leben führen. Doch geht Danielas Plan - "wenn ich wiederkomme, wird alles besser" - so auf? Und kommt sie überhaupt so richtig "wieder"?

Der Roman ist in schlichter Sprache geschrieben, die den drei Erzählern angepasst ist; voll dramatischer und inniger Momente. " Was die Leute Fortschritt nennen", sagt etwa Manuels Opa, der sich nach dem Weggang der Mutter um ihn kümmert, "kommt mir wie ein Unfug vor, der die Menschen noch schlechter gemacht hat. Aber ich bin ein alter Mann. Wenn ich so alt wäre wie du, ich würde nicht hierbleiben und auf diese sterbende Welt bauen." Obwohl das Dorf Rădeni als ländliche Idylle geschildert wird, ist es keine heile Welt. Die Erwachsenen ziehen entweder weg oder verfallen der Mutlosigkeit und dem Alkohol. Ganze Scharen von Frauen verlassen ihre Familien, um in Italien invalide und demente Menschen zu betreuen; eine Arbeit, für die ihnen die Qualifikation fehlt und die sie oft schwer überfordert. Fern von ihren Kindern sinken diese Frauen so oft in Einsamkeit und Depression, dass Ärzte bereits von der "Italienkrankheit" sprechen.

Balzano hat sich aus persönlicher Betroffenheit über ihre Situation, wie er in seinem Nachwort schreibt, bemüht, diesen Frauen und ihren Familien eine Stimme zu geben. Es ist ein wenig fraglich, ob er damit mehr erreicht als ein diffuses schlechtes Gewissen bei den westeuropäischen Lesern, denn wirkliche Lösungen sind ja für niemanden in Sicht. Was ihm fraglos gelingt, ist eine Vorstellung von den landwirtschaftlich geprägten, strukturarmen Dörfern im Osten, in denen oft nur die Großeltern bei den Kindern verbleiben, während die ganze Mittelgeneration von der Bildfläche verschwindet. Was leider völlig fehlt, ist eine Beleuchtung der Rolle des Familienvaters, der von allen Beteiligten scheinbar ohne Nachfrage aus der Pflicht entlassen wird; er verschwindet einfach. Insgesamt bleiben in dem trotz großer Bedrückung schön erzählten Roman viele Leerstellen - was andererseits durchaus auch seinen Reiz hat. Leicht eingeschränkte Leseempfehlung.

 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.602
21.864
49
Brandenburg
So ist es ja leider oft. Auch in afrikanischen Dörfern. Und früher wanderten ganze Generationen von den portugiesischen Inseln aus. Aber sie kamen wieder im Rentenalter und bauten sich Häuser ... . Überall auf der Welt hat man eine Landflucht, weil es an Arbeit fehlt.