Rezension Rezension (4/5*) zu Welch schöne Tiere wir sind: Roman von Lawrence Osborne.

Renie

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19. Mai 2014
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Eine unerträgliche Leichtigkeit des Seins

"Hydra – ein Urlaubsparadies im Mittelmeer
Entdecken Sie die Schönheit einer winzigkleinen griechischen Insel, der internationale Jet-Setter und Künstler wie Chagall und Picasso verzaubert hat. Nur einen Atemzug von Athen entfernt, fasziniert diese kleine, bergige, karge Insel seit vielen Jahren Reisende mit ihrer reichen Geschichte und ihren kulturellen Reizen.
Hydra war schon immer ein beliebter Rückzugsort von Jetsettern und Rockstars: Aristoteles Onassis, Maria Callas, Rex Harrison, Peter Ustinov, Leonard Cohen, Eric Clapton, die Rolling Stones und viele Künstler und Schriftsteller, darunter Picasso, Chagall und Miller."
(Quelle: https://www.discovergreece.com/de/greek-islands/hydra)

Und auf dieses Kleinod des Müßiggangs entführt uns Lawrence Osborne in seinem Roman „Welch schöne Tiere wir sind“. Doch Urlaub kann gefährlich sein. Zuviel Hitze, zuviel Sonne, zuviel gutes Essen, zuviel Alkohol, zuviel Langeweile. Das sind die Gefahren, denen der Urlauber in Lawrence Osbornes Roman ausgesetzt ist.

Bei den Urlaubern handelt es sich jedoch nicht um die Durchschnittsfamilie, die 2 Wochen Sommerurlaub auf Hydra verbringt. Nein. Hier geht es um reiche Familien, die einen ganzen Sommer hier verbringen. All-inclusive? Selbstverständlich nicht. Osbornes Urlauber bewohnen in der Regel eine Ferienvilla. Die besser Betuchten unter ihnen haben eine eigene, die weniger Betuchten wohnen zur Miete. Auf das Geld achten muss keiner von ihnen. Sie tragen ihren Reichtum vulgär zur Schau. Und sie benehmen sich, als ob die Insel ihnen gehören würde.

Gleich zu Beginn des Romans lernen wir die Familie Codrington kennen. Die verwöhnte und gelangweilte Tochter Naomi, Mitte 20, die ihr verhasste Stiefmutter Phaine sowie Vater Jimmy, Millionär. Die Familie verbringt den Sommer in der eigenen Luxusvilla, wie schon seit vielen Jahren. Naomi kennt die Insel in- und auswendig. Sie spricht sogar griechisch. Ihr Hauptproblem ist die unerträgliche Leichtigkeit des Urlaubs-Daseins. Ein echtes Luxusproblem. Denn trotz allem vorhandenen Reichtum, hat sie noch keine Möglichkeit gefunden, sich aus der täglichen Lethargie, hervorgerufen durch Hitze, Sonne und In-den Tag-Hineinleben, zu befreien. Sie lernt Sam kennen, die mit ihren Eltern ebenfalls ein paar Wochen auf Hydra verbringt – zur Miete. Daher nicht wirklich standesgemäß für Naomi, aber was soll’s. Also langweilen sich die beiden jungen Frauen zusammen. Naomi gibt in dieser Zweckverbindung den Ton an.

Eines Tages begegnet den beiden jungen Frauen eine dankbare Ablenkung in Form von Faroud, einem syrischen Flüchtling, der in Hydra illegal gestrandet ist. Naomi fühlt sich berufen, Faroud zu helfen. Nicht ganz uneigennützig. Die geplante Flucht von Faroud von der Insel herunter bedeutet nicht nur, dass Naomi sich dem Anschein einer sinnvollen und wohltätigenTätigkeit hingeben kann, sondern auch gravierende Folgen für ihre Zukunft und die ihrer Eltern.

Genau wie in Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“, seinerzeit verfilmt mit dem jungen Alain Delon, liegt ein Verbrechen in der Luft. Dieser Eindruck wird durch das geschilderte Inselszenarion noch verstärkt: Gluthitze – greller Sonnenschein, der sich auf der Wasseroberfläche des Meeres reflektiert – Stille, nur unterbrochen vom Zirpen der Grillen. Diese Stimmung begleitet den Leser spürbar während der kompletten Lektüre, so dass man den Drang hat zu Sonnenbrille und Sonnenmilch zu greifen.

Und inmitten dieses fast schon unbarmherzigen Szenarios treffen wir auf Charaktere, die nichts besseres mit sich anzufangen haben, als ihre Bedürfnisse zu befriedigen: Fressen, saufen und darauf achten, nicht selbst gefressen zu werden. Natürlich im übertragenen Sinne. Der Roman hat nicht umsonst den Titel „Welch schöne Tiere wir sind“. Denn der Vergleich zur Tierwelt liegt nahe. Tiere handeln instinktgesteuert, so auch die menschlichen Tiere in diesem Buch. Überkommt sie die Gier, wird die Gier gestillt. Überkommt sie die Angst, wird geflüchtet.

Lawrence Osborne hat sich auf die Reichen dieser Welt und deren Müssiggang eingeschossen. Auch in seinem früheren Roman "Denen man nicht vergibt" nimmt er sich dieses Themas an. Welches Problem hat der Mann, dass ihm dieses Thema so am Herzen liegt? Letztendlich verdient er ja selbst nicht schlecht mit seinen Büchern. Lebt etwa ein kleiner Sozi in seinem Herzen, den es zu befriedigen gilt?

Dies ist für mich auch der einzige Wermuthstropfen in diesem Buch: das Thema nutzt sich mit der Zeit ab. Entschädigt wird man jedoch durch die einzigartige Stimmung, die in diesem Roman vermittelt wird. Auch Osbornes Sprachstil ist nicht ohne: zynisch, dabei sehr fantasievoll und bildhaft, wodurch die Stimmung in diesem Roman noch verstärkt wird.
Da dieser Punkt eindeutig überwiegt, habe ich diesen Roman sehr gern gelesen und fühlte mich bestens unterhalten.
Leseempfehlung!

 

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