Rezension (4/5*) zu Was man von hier aus sehen kann: Roman von Mariana Leky

missalissa

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23. Juni 2022
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Eine herrliche Symphonie aus Grün, Blau und Gold

"Wir lebten in einer malerischen Gegend, in einer wunderschönen, einer paradiesischen, so stand es auch in geschwungener Schrift auf den Postkarten, die der Einzelhändler auf der Ladentheke liegen hatte. Kaum jemand im Dorf aber nahm das wahr, wir übergingen und übersprangen die Schönheit, wir ließen sie rechts und links liegen, wären aber die ersten gewesen, die sich lautstark beschwert hätten, wenn die Schönheit um uns herum eines Tages nicht aufgetaucht wäre. Der Einzige, der wegen des täglichen Übergehens der Schönheit manchmal ein schlechtes Gewissen hatte, wae der Optiker. [...] >>Nun schaut doch mal, wie unglaublich schön das alles ist<<, sagte er dann und zeigte mit großer Geste auf die Tannen, auf die Ähren, auf den ausgiebiegen Himmel darüber, >>Eine herrliche Symphonie aus Grün, Blau und Gold.<<" (S.60)

Ein merkwürdiges Buch. Es geht hauptsächlich um Luise und die Liebe. Aber es geht auch um den Tod. Und es geht auch immer wieder um das, was wir sehen oder nicht sehen. Aber der Reihe nach:
"Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky ist in einem Dorf im Westerwald angesiedelt und in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil ist Luise, die Ich-Erzählerin, zehn Jahre alt. Sie pflegt eine innige Beziehung zu ihrer Großmutter Selma. Der Optiker des Dorfs ist ein enger Freund Selmas und ersetzt Luise den Großvater, welcher schon vor Luises Geburt gestorben ist. Luises bester Freund ist der zehnjährige Martin. "[...] dann nahm Martin meinen Kopf und drückte mein Gesicht an seinen Hals. >>Schau nicht hin<<, sagte er. [...] Ich beschloss, Martin später zu heiraten, weil ich fand, der Richtige sei der, der einem das Hinsehen erspart, wenn die Welt ihren Lauf nimmt." (S.39) Der Aufhäger des ersten Teils ist der, dass Selma von einem Okapi geträumt hat. Immer wenn das passiert, stirbt kurz darauf jemand im Dorf. Ich werde an dieser Stelle mal nicht verraten, wen es trifft... Tatsächlich stirbt in jedem der drei Roman-Teile eine Person im Dorf.
Im zweiten Teil ist Luise zweiundzwanzig Jahre alt und trifft Frederik. Frederik ist eigentlich aus Hessen, lebt aber als buddhistischer Mönch in Japan. Luise ahnt schon bei der ersten Begegnung, dass Frederik "das ganze großflächige Leben in einer einzigen Bewegung umdrehen" wird. (S.96) Sie telefonieren und schreiben sich Briefe und es beginnt eine Zeit des Hoffens und Bangens. Das ganze Dorf verfolgt die Annäherungen der beiden mit Spannung. Im dritten Teil ist Luise zweiunddreißig Jahre alt. Die Geschichte verdichtet sich zum großen Finale, durch Rückblenden erfahren wir mehr über Selma und schließlich kommt auch Frederik wieder ins Dorf.

Ich fand das Buch an vielen Stellen sehr witzig. Das Setting des kleinen Dorfes und seiner Bewohner hat etwas von einer Komödie. Die meisten Figuren sind wenig komplex und durch eine einzige, prägende Eigenschaft beschrieben, zum Beispiel gibt es die stets mit sich selbst beschäftigten, nie verfügbaren Eltern Luises, die fürsorgliche Selma, den belesenen Optiker, die abergläubische Elsbeth, die traurige Marlies und so weiter. Interessant sind auch die übernatürlichen Elemente wie zum Beispiel Selmas Träume vom Okapi und der scheinbar unsterbliche Hund Alaska. Ich denke, was die zahlreichen Verweise auf das Sehen angeht, hat das Buch auch noch eine höhere Deutungsebene, die mir teilweise entgeht. Potenzial für Diskussionen mit Mitlesern wäre also auch da. Alles in allem ist "Was man von hier aus sehen kann" eine interessante und witzige Lektüre gewesen.

 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
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Ich habe dieses Buch als Hörbuch genossen und stimme Dir voll zu! (War eine schöne Unterhaltung beim Bügeln! ;) )