Rezension Rezension (4/5*) zu Wallace: Roman von Anselm Oelze.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Der Zweite ist immer der erste Verlierer...

Frühjahr 1858: Ein Brief des Artensammlers Alfred Russel Wallace verlässt die Gewürzinsel Ternate gen England, darin ein Aufsatz über den Ursprung der Arten. Kaum ein Jahr später wird dieser für Aufsehen sorgen. Doch nicht sein Verfasser wird den Ruhm ernten, sondern sein Empfänger, Charles Darwin. Von Wallace bleibt lediglich eine nach ihm benannte Trennlinie der Arten im Malaiischen Archipel. 150 Jahre später stößt der Museumsnachtwächter Albrecht Bromberg auf die Geschichte des vergessenen Wallace. Er reist auf seinen Spuren durch ferne Länder und kämpft darum, dass Wallace die Würdigung erhält, die ihm zusteht.

"Ein literarisches Denkmal für die Außenseiter des Lebens und der Geschichte" - so bezeichnet der Klappentext selbst das Debüt von Anselm Oelze. Und tatsächlich widmet sich der Roman in einem Handlungsstrang dem Leben und Schaffen von Alfred Russel Wallace, einem schüchternen Zeitgenossen, der offenbar über wenig Selbstbewusstsein verfügt hat. Er reiste in abgelegene Gegenden, um dort Tierarten zu sammeln, diese zu katalogisieren und als Anschauungsobjekte zurück nach England zu bringen.

Durch Beobachtungen und Schlussfolgerungen entwickelte er schließlich eine schlüssige Theorie von der Entstehung der Arten. Doch aufgrund seiner ständigen Selbstzweifel wollte er diese Theorie zunächst von Charles Darwin überprüfen lassen, mit dem er schon länger in brieflichem Kontakt stand. Russel blieb auf der Gewürzinsel Ternate, und Darwin veröffentlichte einige Monate nach der Ankunft des Briefes die heute allen geläufige Theorie von der Entstehung der Arten - unter seinem eigenen Namen - Russel wurde lediglich in der Danksagung erwähnt.

Anselm Oelze belässt es jedoch nicht bei dem historischen Handlungsstrang, sondern flicht eine weitere Erzählebene ein, die in der Gegenwart spielt. Albrecht Bromberg arbeitet als Museumsnachtwächter und stößt auf die Ungerechtigkeit, die Wallace widerfahren ist. Bromberg beschließt, dem Forscher post mortem zu seinem Ruhm zu verhelfen und spannt dafür Freunde und Bekannte ein. Er lässt nichts unversucht, um Charles Darwin auch in der Öffentlichkeit zu entlarven und für Gerechtigkeit zu sorgen...


"Aber es stimmt doch einfach nicht! Darwin ist nicht vor Wallace im Ziel gewesen! Er ist einfach nur früher losgelaufen! Es ist mir schleierhaft, wie jemand, der früher losläuft, aber zeitgleich mit dem Konkurrenten ins Ziel gelangt, am Ende den Sieg davontragen kann! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Das muss man doch verhindern!"


Ich mag Bücher, die sich eher unbekannten historischen Fakten widmen und dabei an vermeintlich feststehenden Grundfesten rütteln. Ein Roman für einen Verlierer der Historie - eine nette Idee. Die Figuren, die Oelze zeichnet, sind allesamt etwas skurril, so dass sowohl der Handlungsstrang der Vergangenheit als auch der in der Gegenwart spielende recht verschroben wirken. Der Autor webt dabei gekonnt leise Ironie und augenzwinkernden Humor ein, so dass sich der Leser bei aller Nachdenklichkeit, die sich während der Lektüre einstellen mag, auch gut unterhalten fühlt.

Der Schreibstil ist geschliffen und versetzt beispielsweise mit heute kaum noch gebräuchlichen Verben gekonnt in vergangene Zeiten; die zahllosen Adjektive vor allem zu Beginn des Romans sind zwar gewöhnungsbedürftig, dienen aber der Bildhaftigkeit des Erzählten.

Ein ruhige Erzählung mit Charakteren, die eher auf Distanz bleiben. Ein lesenswerter Roman, der ein wenig an den Festen der Geschichte rüttelt und interessante Fragen aufwirft...


© Parden