Rezension (4/5*) zu Vertraute Welt: Roman von Hwang Sok-yong

ThomasWien

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19. März 2021
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Wien
Ein knappes aber wichtiges Buch

Als Inhaber eines Second Hand-Shops mit integriertem Buchladen, war mir dieses Buch ein besonderes Anliegen. Ein kritischer Blick auf unsere Wegwerfgesellschaft kann nie schaden.

Mittlerweile kennt wohl jeder die Bilder von gigantischen Müllhalden, auf denen sich Menschen Behausungen gebaut haben, und in von der Restbevölkerung vergessenen Kolonien die frischen Abfälle durchkämmen um überleben zu können. Kolonien von der Gesellschaft Ausgestoßener.

Als Leser begleiten wir den 13-jährigen „Glupschaug“ und seine alleinerziehende Mutter in ihrem neuen Zuhause mit dem wundervollen Namen „Blumeninsel“. Die Blumeninsel ist eine riesige Müllhalde auf der die Bewohner vom Sortieren bzw. Verkauf von Müll leben. Auch als Bewohner von Müllhalden muss man sich einer gewissen Hackordnung unterwerfen. Chef der Kolonie ist „Der Baron“. Der Baron wird zum Unverständnis von Glupschaug zum Geliebten seiner Mutter, sein leiblicher Vater fristet sein Leben in diversen Gefängnissen bzw. Umerziehungslagern. Doch die Liaison seiner Mutter mit dem Chef der Kolonie bringt Glupschaug auch Vorteile. Freie Zeiteinteilung ist beispielsweise solch ein Vorteil. Gemeinsam mit seinem Freund „Glatzfleck“, dem Sohn des Barons, verbringt er seine freie Zeit und erkundet die Welt der Blumeninsel.

Ein Roman der in vielen Dingen zu harmlos wirkt. Die sonderbaren Namen der Bewohner der Müllhalde sorgen für einen gedanklichen Abstand zur Realität. Die Namen entschärfen den Alltag auf der Müllhalde, der durch ein Leben mit Dreck, Ungeziefer und verdorbenen Essen geprägt ist.

Ein Roman auf den man sich einlassen muss. Man muss sich die Zeit nehmen und selbst in die Haut der Bewohner schlupfen, nur dann ist es einem möglich einen Eindruck über die unfassbaren Lebensbedingungen zu schaffen. Wem dies gelingt, wird durch einen atmosphärisch dichten Roman belohnt.

Die Geschichte spielt in einem Berghang-Slum in der Millionenstadt Seoul, könnte aber mittlerweile in vielen, vielen anderen Ländern dieser Erde spielen. Der Autor hat sich für einen trockenen Erzählstil entschieden, der aber absolut passend zu der Geschichte ist.

Ein mit 200 Seiten recht knappes Buch für solch ein weltumfassendes Thema, aber ein unheimlich wichtiges. Ein Buch, dass den eigenen Horizont erweitert.


 

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