Rezension Rezension (4/5*) zu Verrat am Kaiser-Wilhelm-Kanal: Historischer Kriminalroman (Hauke Sötje) von A.

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Unterhaltsamer Geschichte-Unterricht

Der Roman "Verrat am Kaiser-Wilhelm-Kanal" spielt, wie der Titel bereits verrät, in der Zeit Kaiser Wilhelm II., im Jahr 1896. Im Mittelpunkt steht Kommissar Hauke Sötje, der im Kommissariat im Martensdamm 12/14 in Kiel bereits seinen 3. Fall löst.

"Die Kriminalpolizei im Kaiserreich hatte man vor Jahren nach englischem Vorbild erstmals in Berlin eingerichtet, im dem immer besser organisierten Verbrechen begegnen zu können. In gleicher Weise wurde vor Kurzem nun auch in Kiel ein Kriminalpolizei eingerichtet. Eine Handvoll Männer, die inkognito ermittelten, sich mit dubiosem Gesindel umgaben und in dunklen Straßen umtreiben sollten." (S.17)

Worum geht es?
Ein Matrose entdeckt vom Deck des Frachtewers "Berta" im Kaiser-Wilhelm-Kanal eine junge Frau. Der Schipper Ernst Meuser, sein Vorgesetzter, weigert sich, die Tote an Bord zu nehmen. Statt dessen wird sie vom Kommissar in Zivil Hauke Sötje ans Ufer gezogen. Alles deutet auf einen Selbstmord hin - ein junges Dienstmädchen, das sich aus irgendeinem Grund ins Wasser gestürzt hat. Doch ihre Verletzungen passen nicht zu einem Sturz von der Brücke, zudem fehlt im Rock ein Stück Stoff und um den Arm hat sie einen Streifen feiner Spitze gewickelt.
Während der Schreiber Levi Bloch Hauke Glauben schenkt, will sein Vorgesetzter Kommissar Kleinschmidt den Fall zu den Akten legen. Doch so schnell will Hauke nicht aufgeben.

Er "beauftragt" seine Verlobte Sophie Struwe, die beim Konsul Winter als Lehrerin arbeitet und für die damalige Zeit sehr emanzipiert erscheint, herauszufinden, was es mit der Spitze auf sich hat.

Über Haukes Vergangenheit erfahren wir, dass er Kapitän war, sein Schiff "Revenge" jedoch gesunken ist - alle Männer tot - außer ihm. Die Befragungen nach dem Unglück brachten jedoch die Wahrheit nicht ans Licht, denn Hauke Sötje hat keine Erinnerungen an die Nacht des Unglücks, er weiß jedoch, wer den Tod seiner Männer verursacht hat - ein gewisser Max von Sülau. Das hat ihm der Graf von Lahn verraten,

"dessen Geschäft Heimlichkeiten, Intrigen, Spitzelei und Verrat waren. Jeden Gefallen, den dieser Mann anbot, ließ er sich mit Zins und Zinseszins zurückzahlen." (S.42)

Er ist Leiter des Narichtenbüro, "ein weit weniger militärisch ausgerichteter Dienst im Kaiserreich" (S.299), der in Konkurrenz zur Sektion IIIb steht, einem rein militärischen Spionagedienst.
Beides hat es tatsächlich gegeben.

Hauke soll eben jenen Max von Sülau beschützen, der sich inzwischen als Geheimagent in der Nähe des russischen Zaren aufhält und nun Wolnikov nennt. Eine russische Delegation wird Kiel besuchen und Wolnikov wird als Sekretär des Fürsten Gregorijn mitreisen, um einen russischen Agenten beim deutschen Kaiser zu enttarnen. Da es bereits Anschläge auf sein Leben gegeben hat, soll Hauke ihn während des Besuches im Kieler Schloss bewachen, bis er den Verräter geliefert hat.
Im Gegenzug darf Hauke nach der Enttarnung den Mörder seiner Männer - Wolnikov - töten, ein verlockendes Angebot, das er annimmt. Er beantragt eine Beurlaubung - höchst ungewöhnlich - und beauftragt dazu noch den Schreiber Bloch im Fall der Toten weiter zu ermitteln. Dabei geraten alle Beteiligten in ernsthafte Gefahr und am Ende stellt sich heraus, dass beide Fälle zusammenhängen.

"Es war schon erstaunlich, wie oft unterschiedlichste Vorkommnisse, von denen man niemals gedacht hätte, dass sie etwas miteinander zu tun haben könnten, sich am Ende als die Seiten ein und derselben Medaille, als Zwillinge eines gemeinsamen Schicksals, herausstellten." (S.274)


Bewertung
Sehr interessant in den Kriminalfall eingebettet, sind die historischen Hintergründe - wie die Französisch-Russische Allianz oder das Aufrüsten der deutschen Kriegsflotte. Besonders gut gefallen haben mir die authentischen Auszüge aus den Kieler Neuesten Nachrichten oder der Kanalzeitung aus dem Jahre 1896, die jedem Kapitel vorangestellt sind und inhaltlich einen Hinweis auf das Geschehen geben.

"Zur Vorsicht bei Benutzung von Bleistiften wird gegenwärtig in verschiedenen Lehrerzeitungen gemahnt. Und zwar wird namentlich die größte Sorgfalt beim Anspitzen der Bleistifte empfohlen sowie vor dem Anfeuchten mit den Lippen gewarnt.
Originalauszug: Kanalzeitung, 1896" (S.73)

Gleichzeitig bieten sie einen Einblick in eine längst vergangene Zeit und lassen sie wieder auferstehen. Gerade zur Jahrhundertwende vom 19. zum 20.Jahrhundert bahnt sich eine neue Zeit an, hervorgerufen durch eine Reihe technischer Errungenschaften, die die Vertreter der alten Zeit gerne rückgängig machen würden.

"Dieser Zwist wurd em ganzen Reich geführt. Er teilte die Menschen in zwei Gruppen: jene, die die Moderne begrüßten, und jene, die alles so behalten wollten, wie es früher einmal war. Hauke war klar, dass es die Errungenschaften von Lokomotive, Telefonapparaten, elektrifizierten Untergrundbahnen oder Maschinengewehren waren, die diesen Streit zugunsten der Moderne entscheiden würden." (S.18f.)

Im Mittelpunkt stehen jedoch die beiden Fälle - das tote Mädchen und der Spionagefall - die beide mit Spannung erzählt werden und eine nicht vorhersehbare Auflösung erfahren. Der Protagonist steht in der Tradition eigenwilliger, aber sympathischer Ermittler, die auf ihren sechsten Sinn vertrauen und Regeln großzügig missachten. Mit der Verlobten Sophie kommt eine junge Dame ins Spiel, die einen Ausblick auf eine moderne Frau gewährt. Ich bin auf den nächsten Fall des Ermittlers gespannt und überlege, ob ich die beiden Vorgänger auch noch lesen soll.

Eine klare Lese-Empfehlung!