Rezension (4/5*) zu Unter Freunden: Roman von Cynthia D'Aprix Sweeney

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.488
50.098
49
Facettenreiche Charakterstudie unter Freunden

Bei „Unter Freunden“ handelt es sich um einen vielschichtigen Beziehungsroman, bei dem es nicht nur um Liebes- sondern auch um Freundschafts- und Familienbeziehungen geht. Im Mittelpunkt stehen Flora und Julian mit ihrer 18-jährigen Tochter Ruby sowie deren Freunde, das Ehepaar Margot und David. Abgesehen von Arzt David sind alle anderen in der Schauspielbranche beschäftigt. Die beiden Frauen kennen sich seit der Studienzeit und bezeichnen sich als beste Freundinnen. Zunächst leben die beiden Familien in „der schönsten Stadt der Welt“ New York. Als erstes folgt Margot dem Ruf Hollywoods. Sie wird als Dr. Cat der Star einer langjährigen Krankenhausserie. Julian und Flora haben sich jahrelang für ein kleines Theater namens „Good Company“ (Originaltitel des Buches) in NY engagiert. Erst als sich dieses etabliert hat und kleine Gewinne abwirft, zieht die Familie gleichfalls nach Los Angeles, wo Julian auch ein Engagement als Serienschauspieler erhält, so dass wieder größere Nähe zwischen den befreundeten Familien herrscht.

Ein plötzlicher Fund bringt das familiäre Gleichgewicht auseinander: „Flora hatte nicht nach dem Ring gesucht, als sie ihn fand. Sie stöberte gerade in einem alten Aktenschrank in der Garage nach einem Foto aus dem Sommer, als Ruby fünf war, das war dreizehn Jahre her. Lange Jahre? Kurze?“ (Erster Satz). Was Flora gefunden hat, ist der Ehering ihres Mannes, den er angeblich vor 13 Jahren beim Schwimmen verloren hat. Sofort wittert Flora einen klassischen Ehebruch… Es ist der Tag, an dem Ruby ihren Highschool-Abschluss feiern soll. Die Party findet bei Margot und David statt, die in ihrem großen Anwesen nicht nur genug Platz, sondern auch das nötige Geld haben, um Rubys Gäste mit luxuriöser Kulinarik zu verwöhnen und das Fest zu etwas Besonderem auszugestalten. Bei Flora zeigt sich diesbezüglich Eifersucht auf diesen Wohlstand, gerade auch deshalb, weil Margot ihn nutzt, um Ruby mit Geschenken und Aufmerksamkeiten zu überhäufen.

Doch auch die geltungsbedürftige Diva Margot hat Probleme. Sie spürt intuitiv, dass ihr Stern am Filmset im Sinken begriffen ist: Es gibt jüngere, attraktivere Kolleginnen, die drohen, ihr den Rang abzulaufen, mancher Schauspielkollege verdient zudem eine höhere Gage als sie. Ihr berufliches Leben ist geprägt von Ehrgeiz, Neid und Oberflächlichkeit, wahre Vertraute scheinen in dieser Branche selten zu sein. Der Einblick in diese künstliche Welt aus Schauspiel, Schein und Sein wirkt überaus authentisch. Margots verlässlicher Rückhalt ist ihr Gatte David, über den wir retrospektiv auch interessante Details aus seinem beruflichen Leben erfahren.

Die Perspektiven wechseln laufend. Das meiste wird aus der Sicht Margots und Floras erzählt, aber auch die anderen Familienmitglieder kommen zu Wort, teilen ihre Sicht der Dinge mit. Die aktuellen Problemfelder führen zu Reflexionen in die Vergangenheit. Als Leser erfährt man auf diese Weise, wie sich Margot und Flora kennengelernt, wie sich die Liebesbeziehungen der heutigen Ehepaare entwickelt haben, welche Höhen und Tiefen es zu verzeichnen gab. Die Erinnerungen führen zurück in unbeschwerte Zeiten in New York, gleichzeitig sucht Flora dort nach Anzeichen, die sie als Indizien für Julians mögliche Untreue werten kann. Eine besondere Rolle spielt dabei der Sommer, in dem der Ring verlorengeht, und den sie wie viele andere gemeinsam verbracht haben.

Diese differenzierten Innensichten der Protagonisten legen ein Geflecht vielschichtiger und ambivalenter Gefühlslagen dar, zu denen die tatsächlichen Handlungsweisen mitunter im Konflikt stehen. Die Freundschaft der Ehepaare war schon manchem Spannungsfeld ausgesetzt, oft wurde es nicht geklärt, Zweifel sind geblieben. Hat Margot am Ende etwas mit dem verschwundenen Ring zu tun? Die Frauenfreundschaft wirkt nicht unbelastet, Flora macht sich Sorgen.

Dagegen scheint Ruby trotz ihrer Jugend einen sehr klaren Blick auf ihr Umfeld zu haben. Sie ist es, die sich über ihren weiteren Lebensweg klar werden muss und dabei weit reifer agiert, als es ihr die Eltern und Margot zutrauen. Bewundernswert ist ihre treffende Analyse der Ehe von Flora und Julian.

Nach einigen Cliffhangern erfährt der Leser natürlich, wie der Ring in den alten Schrank gelangt ist. Er weiß am Ende auch über die Besonderheiten der Herkunftsfamilien sowie über erlittene Schicksalsschläge und Verletzungen Bescheid. Interessant ist nun, welche Veränderungen sich für die Protagonisten in der Zukunft daraus ergeben.

Der Roman zeugt von großer Menschenkenntnis, Empathie und genauer Beobachtungsgabe. Es werden viele Themen rund um Freundschaft, Familie, Kinder und Beruf angesprochen, die allgemeingültige Züge aufweisen. Es geht um Brüche im Leben und deren Überwindung. Die Gestaltung der Protagonisten, ihrer Zwänge, Konflikte und ihres künstlerischen Umfelds empfinde ich als sehr gelungen. Eindeutig stehen die einzelnen Charaktere mit ihren Verflechtungen im Fokus, die reine Handlung tritt demgegenüber in den Hintergrund. Besonders interessant ist die Frauenfigur Flora, die viele Kompromisse eingegangen ist und ihr Leben nun noch einmal neu bewertet und hinterfragt.

Ich habe den Roman sehr gerne gelesen. Wie schon d´Aprix Sweeneys letzter Roman „Das Nest“ hat auch „Unter Freunden“ einen gefälligen, angenehmen Erzählton mit glaubwürdigen, lebensnahen Dialogen. Der Verlag bezeichnet ihn als warmherzig und humorvoll, entsprechend farbenfroh wurde auch das Cover gestaltet. Dem kann ich mich anschließen und gebe gerne meine Leseempfehlung. „Unter Freunden“ ist ein Roman, der aufgrund seines kalifornischen Schauplatzes wunderbar in den Sommer passt.

 
  • Hilfreiche Rezension
Reaktionen: RuLeka und Wandablue

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.703
22.128
49
Brandenburg
Hoffentlich stammt sie nicht von den reichen Sweeney-Hamiltons ab (City on Fire);-).
Ha. Das Nest habe ich ja sehr gerne gehört. Im Original. Aber der neue Roman von Cynthia d´Aprix Sweeney scheint mir sehr personallastig zu sein, schon vom Lesen der Rezension wurde mir schwindlig. Da verzichte ich mal drauf. Danke, Hexe. Obwohl die Cynthia wunderhübsch schreibt. Und du auch.
 
  • Haha
Reaktionen: Literaturhexle

Beliebteste Beiträge in diesem Forum