Rezension (4/5*) zu Unsere verschwundenen Herzen: Roman von Celeste Ng

RuLeka

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30. Januar 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Unsre verschwundenen Herzen von Celeste Ng
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Eher ein Jugendbuch

Der neue Roman der amerikanischen Autorin Celeste Ng spielt in den USA in nicht allzu ferner Zukunft. Nach einer Wirtschaftskrise, die das Land ins Chaos stürzte, hat ein autokratisches System die Herrschaft übernommen. Für den wirtschaftlichen Niedergang macht man China mit seiner neuen Weltmachtstellung verantwortlich. Seitdem sehen sich asiatisch aussehende Amerikaner zahlreichen Diskriminierungen und Diffamierungen ausgesetzt, die z.T. auch brutale Ausmaße annehmen. Ansonsten ist das Land wieder zur Ruhe gekommen. Maßgeblich dazu beigetragen hat PACT - „ Preserving American Culture and Traditions Act“, das Gesetz zur Erhaltung amerikanischer Kultur und Traditionen. Damit wird alles, was als „ unamerikanisch“ gilt, verfolgt und ausgemerzt. So werden Bücher verboten und eingestampft und als besonderes Druckmittel werden regimekritischen Eltern ihre Kinder entzogen und in Pflegefamilien untergebracht.
Doch es regt sich Widerstand im Land.
Der zwölfjährige Noah, genannt Bird, ist die Hauptfigur im Roman. Er lebt allein mit seinem Vater, einem ehemals angesehenen Linguisten, in einer winzigen Zwei- Zimmer- Wohnung auf dem Campus von Harvard. Hierher sind sie gezogen, nachdem seine Mutter vor drei Jahren die Familie verlassen hat. Von ihr, Tochter von Einwanderern aus Hongkong, hat Bird sein asiatisches Aussehen. Das macht ihn zum Außenseiter. Noch mehr allerdings, dass ein Gedicht seiner Mutter, das der titelgebenden „ verschwundenen Herzen“, zur Parole der Widerstandsbewegung wurde. Birds Vater tut deshalb alles, um seinen Sohn zu schützen und nirgends unliebsam aufzufallen.
Doch eines Tages findet Bird einen Brief seiner Mutter mit einer geheimnisvollen Botschaft und er macht sich auf die Suche nach ihr.
Celeste Ng hat hier eine Dystopie entworfen, die nah an aktuellen Strömungen liegt. Wie sie in ihrem Nachwort schreibt, nahm während der Corona- Pandemie die antiasiatische Diskriminierung stark zu, geschürt noch von Präsident Trump, der vom „ China- Virus“ sprach. Und in der amerikanischen Geschichte hat diese Diskriminierung Tradition, denke man nur an die Internierung japanisch- stämmiger Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs.
Wie Margaret Atwood in ihrer berühmten Dystopie „ Der Report der Magd“ greift Celeste Ng auf tatsächliche Geschehnisse aus der Geschichte zurück. So wurden in der DDR Eltern, die als Staatsfeinde galten, ihre Kinder weggenommen und in Kanada hat man über 100 Jahre lang indigene Kinder in christliche Internate gegeben und sie so ihrer kulturellen Identität beraubt. Das verschafft ihrem Roman Authentizität .
Die Geschichte wird vorwiegend aus der kindlichen Perspektive Birds geschrieben. Dabei kommt man dieser Figur sehr nahe, nimmt Anteil an seinen Gefühlen und Gedanken. Ist er anfangs noch genervt von den Ängsten seines Vaters, seinem Duckmäusertum, versteht er im Verlaufe der Handlung, dass dies alles nur zu seinem Schutz und aus Liebe zu ihm geschah. Am Ende hat Bird auch verstanden, warum seine Mutter ihn verlassen musste und er kann sie bewundern für ihren Mut und ihren Einsatz. Mehr Happy- End gönnt uns die Autorin nicht und das ist gut so.
Der Mittelteil gehört Margaret Miu, der Mutter. Sie erzählt ihre Geschichte, vom Aufwachsen als Migrationskind, das permanent zur Anpassung angehalten wird, vom Rückzug in die private Idylle, so lange, bis Wegschauen keine Option mehr ist. Diese mehr berichtende Erzählweise erschwert den emotionalen Zugang zu dieser Figur.
Die Geschichte liest sich leicht und ist packend. Allerdings hat die Autorin ein Anliegen und eine eindeutige Botschaft, das gibt dem Roman etwas Konstruiertes und Schablonenhaftes. Die leicht märchenhaften Züge erschienen mir dagegen passend.
Dass Celeste Ng der Poesie die Kraft zum Widerstand zuschreibt und Bibliotheken zu Orten der Auflehnung und der Zuflucht macht, erfreut natürlich jeden Bibliophilen, ist aber eher Wunschdenken.
Für mich liest sich das Buch, trotz zahlreicher Verweise auf Reales, weniger als realistische Geschichte, sondern wie eine Parabel.
Sprachlich konnte mich die Autorin nicht durchgängig überzeugen. Die kraftvolle Poesie kippt gegen Ende leider nahe hin zum Kitsch.
„ Unsere verschwundenen Herzen“ ist eine spannende und bewegende Dystopie, die gegen staatliche Repressionen auf die Kraft von Liebe und Hoffnung setzt.
Obwohl die Autorin hier hinter ihren ersten beiden Büchern erzählerisch und sprachlich zurückbleibt, so lohnt sich die Lektüre trotzdem. Vielleicht ist der Roman im Bereich „ Jugendbuch“ besser aufgehoben.

 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
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Da kann Frau Ng aber froh sein, dass dir ihr Buch noch den vierten Stern wert war!
Jetzt bin ich restlos überzeugt: ich verzichte auf die Lektüre und mein LE geht dorthin zurück, wo ich es her habe: zu Tauschticket :rofl
 
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