Rezension (4/5*) zu Treue: Roman von Hernan Diaz

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29. März 2022
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Mainz
Buchinformationen und Rezensionen zu Treue: Roman von Hernan Diaz
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Alter Wein in neuen Schläuchen?

"Treue" (im Orginal Trust) von Hernan Diaz ist ein aktuell gefeierter Roman, der es auf die Longlist für den Booker Preis 2022 geschafft hat.

Auf den ersten Blick scheint es "alter Wein in neuen Schläuchen" zu sein: Erzählt wird die Geschichte des Börsenspekulanten Benjamin Rask, der im Manhattan der 20er Jahre erfolgsein sein Vermögen zu mehren versteht. Selbst beim Börsencrash im Jahr 1929 steht er als Gewinner dar, gilt aber gleichzeitig als mitverantwortlich für den Bankrott zahlreicher Geschäfte und Warenhäuser. Verheiratet ist er mit Helen Brevoort, die den sozialen und geselligen Part bedient und sich für wohltätige Zwecke einsetzt. Von außen betrachtet scheint das Paar recht ungleich und irgendwie nicht zueinander zu passen. Es geht neben dem Finanz- und Machtthema einerseits auch um die Besonderheit der Beziehung dieses Ehepaares. Schließlich geht es auch um Helens psychische Krankheit, der sie nach mehreren experimentellen Behandlungsmethoden in einer Schweizer Heilanstalt erliegt.

Insbesondere der Haupterzählstrang dieses Romans wirkt wie eine Geschichte über Möglichkeiten und Grenzen des amerikanischen Traums. Damit allein wird man Diaz' Roman sicherlich aber nicht gerecht, zumal die erzählte Geschichte erst mal nur ein "Roman im Roman" darstellt: Dieser erste Teil des gesamten Romans trägt den Titel "Verpflichtungen" und wurde von Harold Vanner verfasst. Insgesamt gibt es aber vier Teile mit je eigenem Titel, in einem je eigenen literarischen Format und mit individueller Autorenschaft. Das literarische Verwirrspiel beginnt. Diese Erzählkonstruktion wurde verschiedentlich mit der russischen Matroschka verglichen.

In Diaz Roman ist es nun so, dass die verschiedenen Perspektiven, die in den verschiedenen Teilen entwickelt werden einander widersprechen. Als LeserIn sieht man sich mit einem literarischen Rätsel konfrontiert, in dem man verschiedene Puzzelteile sortieren und am Ende zusammenfügen muss. Dabei ist man sich jederzeit bewusst, dem Wissensstand stets hinterherzuhinken. Dieses ist sehr gut gemacht, auch wenn die Grundidee, ein bestimmtes Geschehen auf verschiedene Arten und Weisen innerhalb eines Romans immer neu und anders zu erählen, keineswegs neu ist. Ich denke beispielsweise an Calvinos "Wenn eine Reisender in einer Winternacht". Aber auch wenn Diaz' Erzählkonstrukt nicht wirklich innovativ ist, so ist es doch außerordentlich gut umgesetzt. Ich verzichte an dieser Stelle darauf, genauer auf die einzelnen Teile und deren jeweilige Perspektiven einzugehen. Gerade bei diesem Buch ist es schwierige Gratwanderung, zu entscheiden, ab wo das Spilern beginnen würde. Ich überlasse es hier der interessierten Leserschaft, sich möglichst unvoreingenommen in diesen Roman fallenzulassen.

Sehr gerne spreche ich für diesen auch in sprachlicher und stilistischer Hinsicht sehr ansprechenden Roman eine Leseempfehlung aus.


 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
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Brandenburg
Das ist gut zusammengefasst; du sagst etwas zur Erzähltechnik und spoilerst dennoch nicht. Gefällt mir sehr sehr gut!