Rezension Rezension (4/5*) zu Tod in Connecticut von Wilson Collison.

Renie

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19. Mai 2014
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Eine Frau, für die "Mann"ch einer töten würde

Wilson Collison muss eine Frau gewesen sein! Ich kann mir sonst nicht erklären, wie je"mann"d dermaßen einfühlsam über Frauen schreiben konnte (und kann). Wilson Collison (*1893; †1941) konnte es, wie er/sie in etlichen Romanen unter Beweis gestellt hat. Denn viele seiner /ihrer Romane haben eines gemeinsam: Die Protagonistin ist eine starke Frau in einer von Männern und gesellschaftlichen Konventionen bestimmten Welt.

Der Roman "Tod in Connecticut" könnte dem Titel nach ein Krimi sein, ist er aber nicht. Um dem Titel gerecht zu werden, stirbt natürlich jemand in diesem Buch: Leidenschaft, Eifersucht und Alkohol sind eine schlechte Kombination unter liebestollen Rivalen.
Die Frau, um deren Gunst gebuhlt wird, ist Nolya Noyes, eine junge Dame der amerikanischen High Society der 20er Jahre. Reiche und schöne Erbin, die sich durch ihren Wohlstand einige Freiheiten herausnehmen kann, jedoch Mädchen mit zweifelhaftem Ruf. Daher ist sie keine gute Partie. Von der Gesellschaft wird sie geduldet, schließlich ist man dies ihrem verstorbenen Vater - ehemals wichtiges Mitglied der Gesellschaft - schuldig. Bestenfalls findet man sie amüsant, so dass sie auf Parties ein gern gesehener Gast ist. Die Frauen belauern sie misstrauisch. Die Männer umschwirren sie wie die Motten das Licht. Und kaum einer der Gentlemen, der es nicht versucht hat, sie zu erobern. Was gäbe mann nicht um eine Nacht mit Nolya.

"Menschen ... Menschen ... Sie bedeuteten ihr letztlich so wenig. Selbst Freunde ... auf eine distanzierte Art und Weise ... Freunde. Aber Menschen und Freunde hatten versucht, einen Kreis um sie zu ziehen, eine Mauer zu errichten, die ihr Leben darauf beschränken würde, einen endlosen Kreislauf der Konventionen zu folgen. Sie verlangte doch lediglich, ihre Intelligenz frei nutzen zu dürfen. Mehr nicht."

Das ist die offizielle Sicht der Dinge: Nolyas zweifelhafter Ruf - manche nennen sie ein Flittchen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Nolya ist sehr zurückhaltend, was die Gunst ihrer Zuneigung angeht. Für sie sind Männer Party-Begleiter und Gesellschafter - mehr nicht. Sie lebt allein in ihrer Wohnung, hoch über New York und hadert mit dem Alltag einer High Society Lady: Essensverabredungen, Parties, Geld ausgeben .... laangweilig. Sie lebt in den Tag hinein, auf der Suche nach dem tieferen Sinn ihres Lebens. So versinkt sie in Melancholie und sucht nach einer Möglichkeit, aus diesem Leben auszubrechen.
Zwei Männer nehmen in ihrem Leben eine wichtige Rolle ein:
Neil - Komponist, mal mehr, mal weniger erfolgreich, bester und einziger Freund von Nolya. Seine Gefühle für Nolya gehen für ihn über eine Freundschaft hinaus. Leider beruht dieser Gefühlszustand nicht auf Gegenseitigkeit.
Denn Nolya liebt Arthur Raymond - Sohn einer einflussreichen Familie, verheiratet, der unter der Fuchtel seines Vaters steht.
Nolya und Arthur haben eine Affäre. Doch Vater Raymond schiebt dem Ganzen einen Riegel vor.
Am Ende wird es zu einem Kräftemessen zwischen dem alten Raymond und Nolya kommen, bei dem beide um die Zukunft von Arthur ringen werden. Gibt es ein Happy End für Nolya? Ja, gibt es. Und was für eins. Nicht das, was man erwartet, aber dafür um vieles schöner.

Wilson Collison hat mit "Tod in Connecticut" einen Roman geschrieben, der hautsächlich von den Dialogen lebt, denn die haben es in sich. Herausragend sind die Gespräche zwischen Nolya und ihrem besten Freund Neil. Beide begegnen dem Leben mit Sarkasmus. Sie haben die falsche Moral der Gesellschaft in der sie leben verstanden und lassen keine Gelegenheit aus, dem Leben in dieser Gesellschaft mit Spott und Häme zu begegnen. Dabei sind sie schonungslos, nicht nur was die Lästerei über ihre Bekannten angeht, sondern auch sich selbst gegenüber. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, und konfrontieren sich mit Wahrheiten, die man nur einem besten Freund sagen kann. Die Dialoge in diesem Buch habe ich daher sehr genossen.
Ein weiterer Aspekt, der mir sehr gut gefallen hat, ist die Symbolik, die Wilson Collison als Stilmittel anwendet. Da stolpert man als Leser doch häufig über Banalitäten, die sich bei intensiverem Nachdenken als Momente mit tieferem Sinn erweisen. Da spiegelt auf einmal ein brennender Holzscheit im Kamin den inneren Konflikt eines unglücklich Verliebten wider. Herrlich!

"Er starrte wieder auf die brennenden Holzscheite. In weiter Ferne hörte er die gleichmäßigen, monotonen Rhythmen von Tanzmusik. Im Kamin zischte gerade ein tapferes, kleines Stück Holz mit blauer Flamme auf. Es zischte und flüsterte und sang. Was versuchte es zu sagen? Schrie es vor Schmerz auf und versuchte zu entkommen? Oder war es einfach nur trotzig und kämpfte darum, anders zu sein als all die anderen Scheite in den züngelnden Flammen, die so feierlich knisterten?"

Fazit:
Meine These: Wilson Collison muss eine Frau gewesen sein - auch wenn Wikipedia etwas anderes sagt. Mir gefällt die einfühlsame Darstellung seiner Protagonistin Nolya - einerseits von der Gesellschaft abgestempelt, andererseits jedoch eine starke Frau, die auf ihre Art gegen das Diktat der Gesellschaft ankämpft. Sie gibt nichts darauf und versucht ihren eigenen Weg zu gehen, so schwer dieser auch sein mag. Der Autor beschreibt die Seele einer außergewöhnlichen Frau. Der Mann war ein Frauenversteher (oder eine Frau ;-)). Das macht ihn zu einem außergewöhnlichen Schriftsteller seiner Zeit, wie er auch in "Tod in Connecticut" wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Leseempfehlung!

© Renie