Rezension Rezension (4/5*) zu Those Girls - Was dich nicht tötet: Thriller von Chevy Stevens.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Wieviel kann ein Mensch ertragen?

Bewertung: 3,5 von 5 Sternen

"Those Girls" war nach "Still Missing" mein zweites Buch der Autorin, und es ließ mich mit eher gemischten Gefühlen zurück.

"Still Missing" (das ich übrigens nervenzerfetzend spannend fand!) könnte man zusammenfassen wie folgt: eine starke junge Frau erlebt unvorstellbar Furchtbares, wird von einem Mann gedemütigt, misshandelt und missbraucht, überlebt wider alle Erwartung - und muss feststellen, dass es damit noch lange nicht vorbei ist. Immer, wenn man denkt, es kann nicht schlimmer kommen... Richtig - kommt es schlimmer.

In "Those Girls" überkam mich öfter ein Gefühl von Déjà-vu. Zwar geht es in diesem Buch um drei Schwestern und um mehrere Täter, aber das Grundschema bleibt dasselbe: Die Heldinnen der Geschichte leiden. Immer wieder. Immer krasser.

An dem Punkt, an dem die Geschichte beginnt, haben Jess, Courtney und Dani schon eine schlimme Kindheit hinter sich: Der frühe Tod der Mutter, gefolgt von lieblosen Pflegefamilien, und schließlich die Rückkehr zum Vater, der inzwischen zum gewalttätigen Trinker geworden ist. Wie der Klappentext schon verrät, endet das mit einem Drama und die Schwestern müssen fliehen... Nur um vom Regen in die Traufe zu kommen, und das nicht zum letzten Mal in ihrem Leben.

Spannend war das, keine Frage! Es ist schwer, nicht mit diesen Mädchen mitzufiebern und mitzuleiden, denn man ist als Leser ganz nah dran an ihrer Angst, ihrem Entsetzen, ihrem Schmerz... Man wird quasi zum Voyeur ihres Elends. Irgendwann hinterließ das jedoch einen schalen Geschmack in meinem Mund, denn ich hatte das Gefühl, dass die Handlung dabei mehr als nur ein bisschen auf der Strecke blieb. Chevy Stevens beschreibt sehr ausführlich, wie ihre Heldinnen leiden - wie sie hungern, Schmerzen haben, einen Eimer als Toilette benutzen müssen... Sie verzichtet allerdings weitestgehend darauf, die extreme sexuelle Gewalt gegen die Minderjährigen im Detail zu schildern, was ich für eine gute Entscheidung halte!

Wenn ich jetzt zurückdenke an das Buch, frage ich mich, was auf diesen 464 Seiten eigentlich wirklich passiert ist. In meinen Augen überraschend wenig! Es gibt keine großartige Ermittlung, kein Rätsel, dass es zu lösen gilt, keinen ausgeklügelten Plan... Vieles bleibt ungeklärt. Der Großteil der Geschichte wird vom puren Adrenalin getragen, wenn eine der Heldinnen mal wieder in unmittelbarer Gefahr schwebt, einem Peiniger entkommen oder ihn überwältigen muss.

Dass das in der ersten Hälfte dennoch irgendwie funktioniert - dass man als Leser bei der Stange bleibt, sich gut unterhalten fühlt und das Buch sogar kaum weglegen kann! -, liegt sicher daran, dass die drei Mädchen sehr sympathische und glaubhafte Charaktere sind, denen man ein bisschen Glück wirklich, wirklich wünschen würde.

Zwischendurch springt die Geschichte allerdings 18 Jahre. Man erfährt ein wenig darüber, wie sich die Schwestern in der Zwischenzeit ein neues Leben aufgebaut haben, aber das wird eigentlich nur relativ oberflächlich angerissen. Was sicher auch daran liegt, dass a) der Großteil der zweiten Hälfte nicht mehr von einer der Schwestern erzählt wird, und b) es dann auch recht bald weitergeht mit der nächsten Runde des Dramas. Und diese kam mir leider vor, als habe die Autorin eigentlich nur Dinge aufgewärmt, die schon im ersten Teil passiert waren! Vorhersehbar. Richtig schlecht fand ich auch den zweiten Teil nicht - aber deutlich schwächer als den ersten.

Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Schwestern zwar 18 Jahre älter sein mögen, aber im Grunde immer noch unverändert, ohne große Charakterentwicklung. Wobei das aber möglicherweise von der Autorin so beabsichtigt sein könnte, um zu zeigen, dass sie das Trauma nie verarbeitet haben und deswegen in der Schwebe hängen.

Das Ende fand ich leider enttäuschend, für mein Empfinden zu platt und erzwungen emotional.

Der Schreibstil ist eher einfach und schnörkellos, was mich in diesem Buch aber überhaupt nicht gestört hat. Denn beide Teile der Geschichte werden von Teenagern erzählt, die ihre oft traumatischen Erlebnisse ungeschönt und ungefiltert erzählen - da würde ein poetischer Schreibstil einfach nicht passen. So wirkt es viel authentischer und glaubhafter.

Zitat:
"Ich hastete die Treppe hinauf, doch einer meiner Flipflops verfing sich an der Kante, ich stürzte und landete hart auf den Knien. Ich kickte die Schuhe weg und sprang die letzten Stufen hoch, drei auf einmal. Schwere Schritte stampften hinter mir. Ich war im Flur, griff bereits nach der Tür zum leeren Zimmer, als [er] mich so kräftig in den Rücken schlug, dass ich gegen die Wand geschleudert wurde."

Fazit:
Die drei jugendlichen Heldinnen leiden, dann passiert etwas Schockierendes, dann fliehen sie, dann leiden sie wieder... Und von vorn. Manchmal kam es mir tatsächlich so vor, als sei das im Prinzip schon die ganze Geschichte, aber das ist vielleicht ein bisschen unfair und böse.

Ich mag die Protagonistinnen. Ich habe sie der Autorin abgekauft und mit ihnen mitgefiebert. Ich fand einen Großteil des Buches unheimlich spannend, auch wenn eigentlich außer Gewalt, Flucht und/oder Gegengewalt nicht viel passiert. Die erste Hälfte war für mich trotz einiger Kritikpunkte ein richtig starkes Psychodrama, die zweite Hälfte fand ich dagegen eher schwach, ohne wirklich etwas Neues zu bieten.