Rezension (4/5*) zu Taube und Wildente von Martin Mosebach

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Buchinformationen und Rezensionen zu Taube und Wildente von Martin Mosebach
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Kunst und Macht

Kurzmeinung: Die feine Gesellschaft mal wieder ...


Schauplatz des Romans ist ein großzügiges Sommerhaus in Südfrankreich, La Chaumière genannt. Es ist eher ein kleines Gut als nur ein Sommerhaus, denn obwohl schlicht gehalten, ist es von der dazugehörenden weitläufigen Maccia umgeben. Nach dem Ableben des Eigentümers Cornelius de Kesel ist der ganze Besitz, Land, Gut, Geld, plus wertvolle Kunstsammlung an seine beiden Töchter gegangen. Das heißt, de Kesel kannte seine Pappenheimer und hat alles in eine Stiftung gegossen, seine Nachkommen sind Nutznießer, die Töchter bekommen jährlich eine großzügige Summe ausbezahlt, sind aber nicht Eigentümer und haben keinerlei Verfügungsgewalt. Ein Teil der Kunstschätze ist im Museum, ein Teil, genau festgelegt welcher, im Landhaus. Aber nur Marjorie kommt im Sommer hierher mit ihrer Entourage. Anhand eines unscheinbaren Stilllebens, eines Jagdgemäldes namens „Taube und Wildente“, das im Haus geblieben ist, entfaltet sich die spärliche, dialoglastige Handlung.

Wer hat die Deutungshoheit über die Kunstsammlung, die de Kesel angelegt hat, seine hochnäsige versnobte Tochter oder ihr feingeistiger Ehemann Ruprecht Dalandt? Und wer hat die Hosen an, derjenige, der das Geld (geerbt) hat oder der, der etwas darstellt in der Welt? Und was darf man sich erlauben, was hält man besser unter dem Deckel? Dass die feine Gesellschaft Leichen im Keller hat, das weiß das Personal, das sich kein x für ein u vormachen läßt. Aber vor allen anderen wahrt man den Schein. Nichts schlimmer als Gesichtsverlust.

Während sich Ruprecht Dahlandt, Gemahl von Marjorie de Kesel und Verleger eines hart an der Pleite vorbeischrammenden Kunstverlags, tief in das besagte Stillleben verliebt, kommen allmählich die Untiefen der illustren Gesellschaft, die sich im Sommerhaus versammelt hat, zum Vorschein.

Der Kommentar:
Es ist sowohl auf den ersten wie auf den zweiten Blick schwierig, zu sagen, was für einen Roman Martin Mosebach mit "Taube und Wildente" geschrieben hat, was unter anderem auch am unergründlichen Ende des Romans liegt. Läuterung, zurück auf Null? Neuanfang? Was ist die Grundausage des Romans? Phönix aus der Asche?

Ist „Taube und Wildente“ eine Hommage an die Kunstszene? Oder gar das krasse Gegenteil, denn obwohl es um Kunst geht, um Kunstliebhaber und Mäzene, geht es hintergründig um reinen Snobismus und um Fassaden, für deren Aufrechterhaltung man manchen Frosch hinunter würgt. Und letztlich spielt man das urälteste Spiel der Welt, es geht um Macht, wer dominiert wen? Hier darf die Leserschaft selber urteilen.

Hat Mosebach seine Figuren gut charakterisiert? Wie werden Männer und Frauen dargestellt? Frauen sind herrisch, kalt und auf ihren Vorteil bedacht, auch sexuell, und Männer unterwürfig und sklavisch, aber innerlich immer auf der Flucht. „Liebe ist nur ein Wort“.

Mosebachs Figuren sind Skizzen, mehr nicht. Und trotzdem geht man seinem Roman auf den Leim. Er fängt mich ein. Mit seinem französischen Flair und der Hitze der Sommernächte, der Dekadenz seiner Bewohner. Mit dem Familienmotto „Was man nicht ausspricht, existiert auch nicht“, fahren sie erstaunlich gut. Nur Paula, die Tochter Marjories aus erster Ehe versucht einen halbherzigen Ausbruch. Doch Geld klebt. Man kommt nicht los davon.

Was nicht gefällt an „Taube und Wildente“, sind die ellenlange Dialoge, die eigentlich Monologe sind und als Informationsträger dienen für die Leserschaft. Das ist plump und verfängt nicht, zudem sind diese Dialoge merkwürdig hölzern, doch zum Glück hat Mosebach den übergeordneten Erzähler zusätzlich mit im Boot, der auflockert und rettet. Aber es sind, neben der Atmosphäre, die Leute, die mich faszinieren. Trotz ihrer Silhouettenhaftigkeit. Hier wird nichts auserzählt - und trotzdem ergeben auch die wenigen Akteure eine Art Stillleben und einen Sinn. So ist das (also): das Stillleben. Man muss aufmerksam schauen. Und immer wieder bleibt der Roman stehen wie sein Vorbild, das Jagdbild. Gesten wiederholen sich bis ins Unendliche. Stille oder Stillstand? So ein Stillleben hat doch etwas Beruhigendes. Selbst wenn es "tot" ist wie die Ente und die Taube. Etwas Ewiges.

Ein Kunstroman. Bedarf der persönlichen Interpretation. Ich verfiel der Sprache, der Hitze, der Dekadenz und Ruperts Überhöhung des Gemäldes. Das Ende, zu unspektakulär. Aber das ist der ganze Roman, unspektakulär. Ein Stillleben itself. Kann man mögen. Muss man nicht. Ich mochte, aber ich kann jeden verstehen, der anders denkt. Am Ende habe ich sogar die belehrenden Dialoge verziehen.

Fazit: Stillleben taugen nicht für Jedermann.

Kategorie: Bildungsroman.
Verlag: dtv, 2022

 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
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Aber das ist der ganze Roman, unspektakulär. Ein Stillleben itself.
Wanda, hier hast du dich mal wieder selbst übertroffen!!! So sauber analysiert und kommentiert, besser geht kaum. Die Rezi wäre was fürs Feuilleton, wirklich.

Dialoglastig habe ich den Roman nicht empfunden, ich fand eher die langen, blocksatzigen Beschreibungen der Innenwelten lästig und diejenigen über die Kunst...

Rezi wird eine Herausforderung. Du hast sie famos gemeistert :thumbsup
 
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