Rezension (4/5*) zu Tage ohne Cecilia von Antonio Muñoz Molina

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Tage ohne Cecilia von Antonio Muñoz Molina
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Psychologisches Kammerspiel...

Handwerker beaufsichtigen, die Wohnung einrichten, mit dem Hund die Stadt erkunden: Voller Vorfreude erwartet ein Mann die Ankunft seiner Frau in Lissabon. Während Cecilia, eine Forscherin, die Verlegung ihres wissenschaftlichen Projekts vorantreibt, organisiert er den Umzug. Das Paar, so erfahren wir aus seiner Schilderung, lässt ein Leben in New York hinter sich, das durch die Ereignisse des 11. September nachhaltig erschüttert wurde. Umso verheißungsvoller scheint die Zukunft in einer hübschen Wohnung und einem ruhigen Viertel der südländischen Stadt. Doch je länger der Mann wartet und aus der gemeinsamen Vergangenheit erzählt, desto mehr drängt sich ein Verdacht auf, der seine friedlichen Routinen und die idyllische Ruhe in ein anderes Licht rückt. (Klappentext)

Der bis kurz vor Ende namenlos bleibende Ich-Erzähler entführt den Leser/die Leserin in die Tiefen seiner Gedanken. Er ist vor Kurzem von New York nach Lissabon gezogen, wo er und seine Frau Cecilia eine Wohnung gekauft haben. Während seine Frau noch beruflich eingespannt ist - sie arbeitet als erfolgreiche Neurowissenschaftlerin und hat einen eng getakteten Zeitplan zwischen den Aufgaben im Labor und Vorträgen auf Tagungen und Kongressen - kümmert sich der Endfünfziger um die Einrichtung der Wohnung.

Dabei legt er viel Wert auch auf kleinste Details, und in dem Bemühen, aus der Wohnung in Lissabon ein Spiegelbild der Wohnung in New York zu machen, scheut er auch keine Kosten. Ein talentierter Handwerker steht ihm dabei zur Seite, und tatsächlich ist dieser zusammen mit einer Zugehfrau der einzige Umgang, den der Ich-Erzähler in Lissabon pflegt. Aber er fühlt sich nicht einsam, ganz im Gegenteil.

Er genießt beim Warten auf Cecilia die Ruhe seines Frührentner-Daseins, liest ausgiebig in seinem Lieblingssessel, streift mit seiner betagten Hündin durch die hochsommerlichen Straßen Lissabons, schaut sich interessante Dokumentationen im Fernsehen an - und denkt nach. Er verliert sich in Erinnerungen, springt in Gedanken immer wieder in die Zeit in New York zurück, auch zu den Geschehnissen um die Terroranschläge am 11. September, vergleicht die beiden Städte und findet immer wieder Gemeinsamkeiten, denkt an Begegnungen zurück, an Szenen zwischen ihm und Cecilia.


"Ich habe mich in dieser Stadt niedergelassen, um dort auf das Ende der Welt zu warten." (Erster Satz, S. 7)


Neben den Erinnerungen fließen auch aktuelle Themen in die Gedankenwelt des Erzählers ein, neue Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft beispielsweise, der Blick auf alte Kulturen oder aber auch die drohenden Gefahren unserer Zeit wie etwa die zunehmend beunruhigenden Folgen des Klimawandels oder das Zerbrechen der Demokratien. Zunächst wartet man gerne und geduldig mit dem Ich-Erzähler, dann aber wächst die eigene Unruhe. Es melden sich Zweifel, Verwirrung, Fragezeichen. Der Erzähler selbst weiß zwischendurch nicht mehr wo er ist und verläuft sich, er kennt plötzlich sein Geburtsjahr nicht mehr, Zeit und Erinnerungen drohen ihm zu entgleiten. Können wir seinen Erinnerungen vertrauen wenn er selbst es womöglich nicht kann? Und wo bleibt denn nun Cecilia?!

Das psychologische Kammerspiel lullt den Leser/die Leserin ein, angenehm zu lesen in einem stilvoll-eleganten Schreibstil, dem Bildungsstand des Ich-Erzählers angemessen. Doch die Fragen, die sich zunehmend beim Lesen aufdrängen, sorgen für eine unerwartete Spannung. Sehr gespannt wartete ich daher auf das Ende des Romans, und mit einem besonderen und vollkommen unerwarteten Kniff lässt Antonio Muñoz Molina schließlich die Bombe platzen. Das Ende selbst ist offen angelegt und lässt Interpretationsspielräume zu, die ich zu meiner Zufriedenheit genutzt habe.

Wir basteln uns die Welt, wie-de-wie-de-wie-sie-uns-gefällt. Wer wissen will, wie das geht: lesen!


© Parden