Rezension (4/5*) zu Sisi von Karen Duve

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
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49
Brandenburg
Am Lack gekratzt - die Krone ist Blech.

Kurzmeinung: Eine Entlarvung (war ja eh klar).

„Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach, Herzogin in Bayern (1837-1898), ist durch ihre Heirat mit ihrem Cousin Franz Joseph I ab 1854 Kaiserin von Österreich und ab 1867 Apostolische Königin von Ungarn. Die Geschwister nannten sie „Sisi“; seit den Ernst-Marischka-Filmen ist sie auch als „Sissi“ bekannt.“ So weit der Wikipedia-Eintrag. Den Wikipedia Eintrag zu zitieren ist in diesem Fall logisch und legitim, da Karen Duve als Quellenangabe (unter vielen anderen) den Passus „rauf und runter in Wikipedia“ benutzt. Köstlich.

Karen Duve begleitet die Kaiserin durch einige Jahre, die sie entweder auf Reisen oder auf ihrem ungarischen Gut verbringt. Zeitlich bewegen wir uns um die Jahre 1878 herum, als Serbien und Montenegro dem osmanischen Reich den Krieg erklärt haben. Doch die hohe und auch die niedere Politik ist in dem Roman von Karen Duve nur ein leises Hintergrundrauschen. Zwar erlebt man mit, wie der fleissige Kaiser Franz morgens um vier aufsteht und sich nach dem spartanischen Frühstück der politischen Korrespondenz widmet, doch die Kaiserin interessiert das herzlich wenig – weswegen die Politik auch von Karen Duve weitgehend ausgespart bleibt. Das ist leider, so von mir empfunden, ein erheblicher Mangel.

Die Kaiserin ist nach damaliger Ansicht schon „alt“, aber sie hält sich durch Sport und Mangelernährung fit und schlank. Die Reiterei ist ihr ein und alles. Sie ist eine der besten Reiterinnen ihrer Zeit. Tierliebe sagt man ihr nach, aber natürlich ist das, was man im 19. Jahrhundert unter Tierliebe versteht häufig etwas, was wir eher mit einem gegenteiligen Begriff, nämlich mit Tierquälerei verbinden. Blutige Fuchs-, Hirsch- und Gämsenjagden finden nahezu täglich statt- das Tier hat Null Chance und muss bis zu seinem Tod stundenlange Todesangst ausstehen. Königs mag ich nicht. Um nicht zu sagen, ich mag sie überhaupt nicht. Keine Sissi. Keine Queen, deren Kadaver man tagelang durch die Landschaft karrt, keinen Charlykönig, keine Victoria, gar nix. Monarchie ist out. Und totale Verschwendung. Die Kaiserin ist eitel und macht ein furchtbares Gedöns um ihr meterlangenes Haar. Sisi lebt nach dem Motto, wer schön sein will, muss leiden. Heute wäre sie eine Influencerin ersten Ranges für dumme junge Mädchen, die sich kasteien wollen.

Die Kaiserin ist eh frustriert, ihren Kindern durch die kaiserliche Schwiegermutter entfremdet, ihre Kernfamlie nur sporadisch zur Verfügung stehend, bleibt als Zeitvertreib nur, andere wie Marionetten und Puppen durch die Gegend zu scheuchen, sie ein wenig verliebt zu machen, Charisma hatte sie ja, und dann ins Unglück zu stürzen. Ein kaiserlicher Schnipps und man ist vom Spielbrett. Das Hofleben wird von Duve so geschildert, wie es vermutlich gewesen ist, Hofschranzen und kaiserliche Willkür. Verabscheuenswert.

Dennoch hält sich lange das Bild der leutseligen Kaiserin, da Sisi gut verbergen kann, was sie wirklich denkt und wer tratscht oder ihr offen widerspricht, fällt in Ungnade, was diverse finanzielle Nachteile nach sich zieht. Für die Verhältnisse der damaligen Zeit war sie unkonventionell, aber letztlich blieb sie in Snobismus und Oberflächlichkeiten stecken.

Fazit: Die Beschränkungen des Romans aufs Jagen und dies in ausführlichsten, geradezu wollüstigen Längen, die Reduzierung auf das Hofleben und seine Äußerlichkeiten, rauben dem ansonsten lebendig geschriebenen Roman etwas an Interesse. Es war so viel los in dieser Zeit, davon hätte ich gerne mehr erfahren. Aber das süßliche Sissi-Image, das auch Romy Schneider in good old germany lange anhaftete, ist durch diesen Roman gänzlich abhanden gekommen. Bravo dazu. Sprachlich ist der Roman bestens aufgestellt. Ein echter Duve eben. Mit vier Sternen würdige ich Duves Werk.

Kategorie: Biografischer Roman
Verlag: Galiani Berlin im Hause Kiwi, 2022

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