Rezension (4/5*) zu Shuggie Bain: Booker Preis 2020 von Douglas Stuart

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Buchinformationen und Rezensionen zu Shuggie Bain: Booker Preis 2020 von Douglas Stuart
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Toxische Spirale der Sucht

Glasgow 1980, die Familie Bain lebt in prekären Verhältnissen. Agnes Bain hat zwei Kinder aus erster Ehe. Ihr Mann „Big Shug“ ist Taxifahrer und einer der nichts anbrennen lässt. Shuggie ist der gemeinsame Sohn. Alle hausen sie bei Agnes‘ Eltern, die es nicht verwunden haben, dass Agnes ihren soliden katholischen Mann gegen einen unzuverlässigen Draufgänger eingewechselt hat. Nichts von dem was sich Agnes erträumt hat, ist eingetreten. Als die Familie von Glasgow in den tristen Bergbauort zieht und Shug Agnes und die Kinder im Stich lässt, wendet sich Agnes immer mehr und mehr dem Alkohol zu.

„Shuggie Bain“ und der Autor Douglas Stuart haben eine ähnliche Geschichte. In dem Roman verarbeitet der schottische Autor seine eigene Kindheitsgeschichte. Und das mit einer Eindringlichkeit und berührender Sprache. Nicht von ungefähr hat Stuart für dieses Buch den Man Booker Prize 2020 erhalten.

Es ist trist, es ist schonungslos, es ist berührend. Aber es erschlägt einen nicht mit der Betroffenheitskeule. "tell it like it is" und das sprachlich gekonnt, wenn Stuart erzählt. Mit dem Versuch der Übersetzerin den Glasweger Ton zu treffen habe ich mich arrangiert.

„Glück is dat Einzige, was uns ausse Bredullje hilft.“

Vom Glück kann keine Rede sein, mitten in der Ära Thatcher. Die Menschen trifft die volle Härte dieser Regierung einer strikten Wirtschaftspolitik. Arbeitslosigkeit, mangelnde Ausbildung, keine finanzielle Absicherung, schlicht Chancenlosigkeit, die vor allem Frauen und Kinder betrifft. Das wöchentliche Hangeln von „Stütze zu Stütze“. Agnes Bain gerät in einen Kreislauf von Alkohol, Depression, sozialer Isolation und ein Umfeld, das ganz genauso ist.

Im Grunde interessiert sich niemand für Menschen wie Agnes. Sie sind peinlich, unangenehm, nichts wo man anstreifen möchte, sprichwörtlich. Mit ihnen ist kein Staat zu machen. In der Ära Thatcher bestimmt nicht. Selbst in der Familie ist sich jeder selbst der Nächste. Die Tochter Catherine entkommt früh durch Heirat den Verhältnissen und zieht nach Südafrika. Alexander vergibt sich die Chance auf ein Kunststudium, schafft aber letztlich auch den Absprung. Der einzige Halt, der Agnes bleibt ist Shuggie. Schon als Kind lernt der Junge mit den Stimmungsschwankungen der Mutter umzugehen, Geld auf die Seite zu legen, damit Agnes nicht alles in Bier und Schnaps umsetzt. Dazu ist Shuggie „anders“, feinfühlig, auch körperlich nicht. „männlich genug“. Auf seinen schmalen Schulten lastet eine große Verantwortung für seine alkoholkranke Mutter. Es ist ein Roman über eine sehr intensive Mutter-Sohn-Beziehung. Letztlich ist aber auch die allergrößte Liebe eines Kindes zur Mutter machtlos gegen die toxische Spirale der Sucht.