Rezension Rezension (4/5*) zu Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich von David Foster Wallace

Renie

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19. Mai 2014
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Freud und Leid auf einer Luxuskreuzfahrt

Ich habe noch nie eine Kreuzfahrt mitgemacht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich das unbedingt möchte. Denn eine Kreuzfahrt mit einem Luxusdampfer erscheint mir Fluch und Segen zugleich. Segen - da man mit jedem denkbaren und undenkbaren Luxus überhäuft wird. Fluch - weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, mit über 1000 Menschen auf einem Schiff gepfercht zu sein und die einzige Rückzugsmöglichkeit für mich in einer ca. 15 qm kleinen Innenkabine (ohne Fenster) besteht. Wenn mir allerdings jemand eine derartige Reise schenken würde, würde ich nicht lange überlegen. Denn einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul - insbesondere wenn der Gaul ein wertvolles Rassepferd ist.
Genau dies ist David Foster Wallace, dem Autor des Essays "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich", passiert. Er erhielt den Auftrag einer amerikanischen Zeitung, seine Eindrücke über eine Luxuskreuzfahrt zu Papier zu bringen. Selbstverständlich wurde ihm der All-Inclusive-Trip finanziert. Erwartet wurde von ihm nichts, außer schonungsloser Offenheit gepaart mit dem berüchtigten David Foster Wallace Humor. Also hat er sich "geopfert" und eine Seereise von Florida in die Karibik und wieder zurück gemacht. Zusammen mit über 1500 Landsleuten, größtenteils Kreuzfahrtveteranen, die meine schlimmsten Befürchtungen, was das Publikum auf einem Luxusliner betrifft, bestätigt haben.

Herausgekommen ist ein Essay über eine Reise mit einem Kreuzfahrtschiff, dem Bordleben sowie der Reisegefährten, vor denen sich David Foster Wallace nicht verstecken konnte.
Der Autor glänzt dabei durch bitterbösen und schwarzen Humor. Schonungslos zieht er seine Mitreisenden und das Luxusschiffsleben durch den Kakao, macht dabei auch nicht Halt vor seiner eigenen Person. Er ist nicht der neutrale Beobachter, sondern er ist Opfer. Er wird mit dem Luxus, der ihm auf dem Dampfer begegnet förmlich erschlagen. Als Neuling an Bord lässt er kein Fettnäpfchen aus. Es gibt nunmal eine Etikette auf einem Luxusliner, die ihm natürlich völlig fremd ist und gegen die er häufig - mehr oder weniger absichtlich - verstößt. Was David Foster Wallace während seiner Reise erlebt hat, hätte manch anderen in die Flucht geschlagen. Doch wohin fliehen? Denn die Fluchtmöglichkeiten auf einem Schiff sind nun mal begrenzt.

Eine Kreuzfahrt ist "schrecklich amüsant", wobei die Betonung auf "schrecklich" liegt. Hier gibt es von vielen Dingen zu viel: zuviel Luxus, zuviel Essen, zuviel Vergnügen, zuviel Menschen, zuviel Bespaßung. Jeder, der sich an Bord eines Luxusliners begibt, gibt jede Verantwortung für das eigene Vergnügen ab. Hier gibt es Profis, die dafür bezahlt werden, dass sie die Passagiere bespaßen. Auf das Wie der Bespaßung hat man keinen Einfluss. Man wird permanent mit "Vergnügen" konfrontiert. Man entkommt ihm einfach nicht. Und am Ende der Reise wird man sagen, dass es Spaß gemacht hat, dass man verwöhnt wurde, dass man erholt ist. Was auch sonst? Bei dem Preis, den man für die Reise bezahlt hat.

"Egal, ob unten im Gewusel des Hafens oder ganz oben an der Reling von Deck 12, ich werde das dumme Gefühl nicht los, dass ich ein amerikanischer Tourist bin und dadurch per se ein stiernackiger, lauter, vulgärer, großkotziger Fettsack, eitel, verwöhnt, gierig und zugleich gepeinigt von Scham und Verzweiflung. In diesem Sinne ist der amerikanische Tourist wirklich einzig auf der Welt: ein bovines Herdentier und ein Fleischfresser."

Der zweite Teil des Titels des Essays "aber in Zukunft ohne mich" sagt natürlich aus, zu welcher Erkenntnis der Autor gekommen ist. Es gab Dinge in David Foster Wallaces Leben (er starb in 2008), die brauchte er nicht, wozu definitiv eine Kreuzfahrt zählte. Aber hinterher ist man immer schlauer. Und er hat es schließlich versucht.

Das Essay ist erstmalig im Jahre 1997 veröffentlicht worden. In der Ausgabe der Edition Büchergilde aus dem Jahre 2018 werden die Erlebnisse des Autors von den ganzseitigen Illustrationen von Chrigel Farner begleitet, die für sich schon ein Erlebnis sind. Der Illustrator hat sich dabei akribisch an den Text gehalten und diesen mit plakativen Zeichnungen versehen. In Chrigel Farners Illustrationen finde ich mein Wunschdenken zu einer Kreuzfahrt wieder: das Meer in sämtlichen Blauschattierungen, die man sich vorstellen kann, idyllische Inselparadiese, Stille und Einsamkeit. Denn die Zeichnungen sind größtenteils menschenleer, vereinzelt findet sich darin eine Handvoll Passagiere oder Crewmitglieder. Die Menschenmassen auf dem Luxusdampfer hinterlassen kaum Spuren. Die Illustrationen bilden dadurch einen wohltuenden Kontrast zu dem turbulenten Geschehen, das David Foster Wallace in seinem Essay wiedergibt.

Fazit:
David Foster Wallace geht in seinem Essay mit gewohnt bissigem Humor auf Freud und Leid einer Luxuskreuzfahrt ein. Überzeugungskreuzfahrer werden ihn dafür verteufeln, Zweifler, Neider und Kreuzfahrtgegner werden ihn bejubeln. Die wunderschönen Illustrationen von Chrigel Farner stellen eine Kreuzfahrt dar, wie sie sein sollte und sind für sich ein Genuss. Wie schade, dass die Realität anders aussieht.


© Renie