Rezension (4/5*) zu Schmales Land: Roman von Christine Dwyer Hickey

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29. März 2022
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Mainz
Buchinformationen und Rezensionen zu Schmales Land: Roman von Christine Dwyer Hickey
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Sommer im "Schmalen Land"

Obwohl die Werke der Autorin Christine Dwyer Hickey bereits mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurden, war die Autorin im deutschsprachigen Raum bisher wohl unbekannt. Dies versucht der Unionsverlag zu ändern, in dem er nun den im Orginal 2019 erschienen Roman "Schmales Land" in deutscher Übersetzung herausbrachte.Dieser Roman wurde sowohl mit dem Walter Scott Prize wie auch dem Dalkey Literary Award ausgezeichnet. Es geht darin um einen Sommer im sog. "schmalen Land" - der amerikanischen Halbinsel Cape God. Der Klappentext preist das Buch an als "die Geschichte einer unerwarteten Freundschaft zwischen einem Waisenjungen und dem Künstlerpaar Josphine und Edward Hopper ". Würde dies nicht erwähnt, könnte man als Kunstexeperte, die ich nicht bin, vielleicht vom Coverbild her auf die Idee kommen, dass es sich um besagtes Künstlerpaar handelt, denn gezeigt wird ein Gemälde von Edward Hopper. Im Roman selbst sucht man vergeblich nach dem Namen Hopper und tatsächlich könnte es sich genauso gut um ein anderes Küntlerpaar handeln, das denke ich zumindest. Erzählt wird nämlich eher ein Gesellschaftsportrait der USa in den 50 er Jahren in der Zeit zwischen den Kriegen.

Es gibt zwei Erzählstränge, die bereits relativ früh zusammen geführt werden: Einerseits die Geschichte um den 10jährigen Waisenjungen Michael aus Deutschland, der nach Kriegsende von einer amerikanischen Familie aufgenommen wird: den Novaks. Andererseits eben die Geschichte einer Künstlerehe und deren Schwierigkeiten. Michael zeigt deutliche Züge eines Traumas. Genaueres erfahren wird jedoch nicht über die Erfahrungen, die er während des Krieges erleiden musste. Er ist schwer zugänglich. Als die Novaks den Jungen im Sommer nach Cape God schicken, wohnt er bei den Kaplans und deren vernachlässigten Sohn Richie. Richie wünscht sich die Freunschaft des Jungen sehr, doch Michael zeigt sich weitgehend desinteressiert, bleibt distanziert. Was Richie nicht schafft, gelingt Josphine, die Michael Mrs. Aitch nennt: Sie erhält Zugang zum Herzen des Jungen. Letztlich ist das eine win-win Situation, denn sie selbst bekommt von ihrem Mann Edward schon seit langem nicht die Aufmerksamkeit, geschweige denn Anerkennung, die sie sich wünschen würde. Sie steht als Künstlerin im Schatten ihres Mannes, der nun zunehmend schlecht gelaunt wird und diese Laune an ihr auslässt, da er sich selbst in einer tiefen Schaffenskrise befindet. Die Gesamtsituation gleicht einem Spiel von Licht und Schatten: die Ehe ist ebenso angeknackst wie die Seele der beiden Jungen. Doch interessanterweise erweisen sich sowohl Josephine als auch Edward den Jungen gegenüber als sehr einfühlsam und zugewandt - Eigenschaften, die man in ihrer Ehe vermisst und die seit langem von einer Dynamik zwischen Anziehung und Abstoßung geprägt ist.

Insgesamt betrachtet, bin ich der Geschichte gerne gefolgt, wobei mich persönlich die Geschichte des Waisenjungen Michael und dessen Schicksal mehr interessiert hat als das Eheleben des Künstlerpaars mitsamt der Hochs und Tiefs. Sehr gerne hätte ich mehr über den Jungen gelesen; hätte gerne erfahren, was genau ihm in Deutschland widerfahren ist; hätte gerne mehr über seine Emotionen und Gedanken gelesen. Dieser Strang wird im Vergleich zur Eheschilderung etwas ausgedünnt, leider. Dennoch weiß ich das Gesamtbild zu schätzen, das Hickey Pinselstrich für Pinselstrich zeichnet. Mit viel Feingespür und Empathie widmet sie sich ihren Figuren und beleuchtet alles jeweils immer aus verschiedenen Blickwinkeln. Diese Multiperspektivität zeichnet den Roman aus, durch sie wird den Figuren Leben eingehaucht - facettenreiches. Diese Schreibtechnik gefällt mir sehr gut. Keine Figur wird vorschnell mit sie charakterisierenden Attributen fest verbunden, immer gibt es Raum Dinge auch wieder aus einem anderen Blickwinkel und damit neutraler zu betrachten. Es entsteht so ein Portrait der amerikanischen Gesellschaft in den 1950er Jahren am Beispiel des Künstlerehepaars Hopper, das widerum auch ein anderes sein könnte, theoretisch zumindest. Dennoch ergaben sich bei mir zwischendrin relativ ausgeprägte Antipathien für Josephine, die sich erst reduzierten, als klar wurde, dass sie auch ganz andere Seiten hat, als es zunächst den Anschein hat.

Ich bin froh, dieses Buch gelesen zu haben und würde auch weitere Werke der Autorin lesen. Einziger Kritikpunkt: Ich hätte mir eine stärkere Fokussierung auf Michaels Schicksal und damit insgesamt mehr Ausgewogenheit zwischen den zwei Erzählstränen gewünscht. Allerdings wäre es dann ein anderes Buch geworden. Kein persönliches Highlight, aber dennoch eine Leseempfehlung für Fans gehobener Literatur.