Rezension (4/5*) zu Schlangen im Garten von Stefanie vor Schulte

Irisblatt

Bekanntes Mitglied
15. April 2022
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Buchinformationen und Rezensionen zu Schlangen im Garten von Stefanie vor Schulte
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Trauerarbeit der ungewöhnlichen Art

Familie Mohn hat einen geliebten Menschen verloren. Vater Adam, die Kinder Micha, Linne und Steve versuchen irgendwie damit zurecht zu kommen, dass ihre Mutter bzw. Ehefrau gestorben ist. Alle trauern auf unterschiedliche Art und Weise, versuchen trotz der großen Lücke irgendwie die Tage zu überstehen. Micha verliert sich in Traumwelten, Linne reagiert mit Wut, fällt in der Schule durch Gewalt auf. Der Vater befindet sich in einer Art apathischen Starre, ist den Alltagsanforderungen nicht mehr gewachsen, kündigt seine Arbeit. Der älteste Sohn Steve kümmert sich so gut es geht um den Haushalt, seinen Vater und die jüngeren Geschwister. Erlösung findet er nur in kurzen Momenten hoher Geschwindigkeit auf dem Skateboard.
„Schlangen im Garten“ beginnt mit einer überraschenden, sehr skurrilen Szene, die mich sofort fasziniert, begeistert und neugierig auf den weiteren Verlauf gemacht hat. Familie Mohn verspeist Seite um Seite Johannes Tagebücher, ohne darin zu lesen. Es gehört zu ihrem täglichen gemeinsamen Ritual, das Papier in mundgerechte Stücke zu zerreißen, es zu Gerichten zu verarbeiten oder die Schnipsel auch mal pur zu verspeisen. Das Ende des „Projekts“ ist noch nicht absehbar, schließlich war Johanne eine ambitionierte Tagebuchschreiberin.
Längst ist das Traueramt auf die Familie aufmerksam geworden, weil die Trauerarbeit der Familie Effizienz vermissen lässt. Eine Rückkehr zur Normalität soll rasch erreicht werden; Trauernde sind Störfaktoren innerhalb der Gesellschaft, laufen Gefahr zu Außenseitern zu werden. Doch die festgesetzten Maßnahmen des Traueramts laufen ins Leere, die Familie verhält sich eigensinnig und unkooperativ.

Vor Schulte fängt sehr gut die Verlorenheit der einzelnen Familienmitglieder ein, zeigt, dass Trauern ein komplexer, individueller Prozess ist, der nicht eben mal nach zwei Wochen abgeschlossen ist. Sie findet starke Bilder für die Befindlichkeiten der Trauernden. Unterstützung im Trauerprozess kommt von unerwarteter Seite. Je weiter der Roman fortschreitet, umso mehr drängen sich phantastische Elemente in die Geschichte, die nicht immer leicht zu deuten sind. Gegen Ende hat die Autorin die einzelnen Mitglieder der Familie Mohn für mich zu stark aus dem Blick verloren. Ich mag das Buch sehr, es hat mich berührt und nachdenklich gemacht. Trotzdem empfand ich es als nicht ganz so rund wie „Junge mit schwarzem Hahn“. Stefanie vor Schulte hat eine sehr besondere Art Geschichten zu erzählen. Obwohl ihre Sätze sehr kurz sind, haben sie eine eigentümliche Strahlkraft und Poesie. Die märchenhaften, phantastischen und skurrilen Elemente gefallen mir ausgesprochen gut. Ich bin jetzt schon gespannt auf das nächste Buch der Autorin.