Rezension Rezension (4/5*) zu Sag, dass es dir gut geht von Barbara Bisický- Ehrlich.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Aufrüttelnd und ehrlich...

Barbara Bišický-Ehrlich zeichnet als Chronistin ihrer eigenen Familiengeschichte ein mehrfaches Generationenporträt, angefangen bei ihren Urgroßeltern in der ehemaligen Tschechoslowakei, über die Zeit ihrer Großeltern und Eltern, bis hin zu ihren eigenen Erfahrungen als Enkelin von Holocaust-Überlebenden – ausgerechnet in der Bundesrepublik Deutschland. Immer wieder kreuzt die Weltgeschichte den Weg dieser Familie. Schreckensnamen wie Bergen-Belsen und Theresienstadt sind damit ebenso verknüpft wie die Zeit des Kommunismus nach 1945 in der CSSR und der Prager Frühling. Die Gefahr eines gewaltsamen Todes hängt beständig wie ein schwarzer Schatten über allen Familienmitgliedern. Entwurzelung, Neuanfang und erneute Entwurzelung sind die Folgen.

Diese Geschichte erzählt vom einem Leben zwischen den Extremen, mit unerwarteten Wendungen, mit Traumata, die an Kindern vererbt werden und mit dem unglaublichen Überlebenswillen eines jeden Nachkommen. Barbara Bišický-Ehrlich lässt den Leser durch die Schilderung ihres Familienschicksals mühelos Jahrzehnte überbrücken und in die Zeitgeschichte eintauchen. Sie schafft eine Nähe, die dem Leser erlaubt an den Ängsten und Hoffnungen der Menschen teilzuhaben, die sich nichts sehnlicher wünschen als Frieden auf Erden. Zwischen Prag und Frankfurt am Main, zwischen Gefahren, Bedrohungen und den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, schwebt die eine große Frage: »Wie gehe ich mit Vergangenheit um?«.

Dieser Klappentext schildert hervorragend, worum es in diesem Buch geht. Barbara Bišický-Ehrlich erzählt hier eine sehr besondere Familiengeschichte, die aufzeigt, wie sich erlebte Traumata durch die Generationen ziehen und damit Auswirkungen auch auf die Nachkommen haben.


"Mirek weinte bitterlich, drückte seine Tochter und sagte: 'Falls wir uns nie wieder sehen, wünsche ich dir ein schönes Leben.'"


Dabei werden nach und nach alle Mitglieder der weitverzweigten Familie beleuchtet, was zeitweise etwas verwirrend für mich war. Der bebilderte Familienstammbaum zu Beginn sorgte dann aber für ausreichende Orientierungsmöglichkeiten. Durch zahlreiche Fotos aus dem Familienalbum bekommen die Namen in dem Buch auch ein wirkliches Gesicht. Und letztlich zeigte sich die Schilderung der einzelnen Schicksale doch auch als bedeutsam für das Verständnis der Verhaltensweisen und Ängste der Autorin selbst. Auch als Urenkelin der Opfer des Holocaust leidet sie noch unter dessen Auswirkungen.

Die Zeit des Kommunismus nach 1945 in der Tschechoslowakai und der Prager Frühling verschärften die Lage zusätzlich - die Enteignung der Juden ging beispielsweise damit einher. In der Folge emigrierten die Eltern der Autorin - ausgerechnet nach Deutschland. Die Entwurzelung, die Suche nach einer neuen Identität, die Sehnsucht nach der Heimat - das Schicksal der Migranten. Alles zusammen ein schweres Erbe, das ohne Zweifel Spuren hinterlassen hat.


"Manchmal denke ich, dass es mögicherweise als reflektierender und hinterfragender Mensch sogar schwerer ist, mit einer 'Tätervergangenheit' der Familie klarzukommen, als in einer Opferfamilie groß zu werden. (...) Wir mussten mit den Traumata klarkommen, die Täterangehörigen mit der Schuld. Da ist es klar, wem das Solidarisieren leichter fiel."


Schonungslos ehrlich schildert die Autorin die Folgen all dieser Ereignisse für sich und ihre Familie, und jenseits von Schuldzuweisung oder Abrechnung schafft sie den Spagat zwischen Verständnis und - ja, auch Verzeihen. Dabei lassen trotz der distanziert geschilderten Ereignisse des Holocaust einzelne Szenen beim Lesen den Atem stocken.

Aufrüttelnd und ehrlich erscheint dieses Familienportrait, das die Autorin im Andenken an ihre Familie geschrieben hat, nicht zuletzt aber auch für sich und für ihre Standortbestimmung im Leben. Unbedingt lesenswert!


© Parden