Lesenswertes Kammerspiel mit realsatirischer Note
Eine demenziell erkrankte Mieterin kann ihren Alltag nicht mehr bewältigen, so dass Rechnungen und Mietzahlungen im Rückstand sind. Die Eigentümerin hat in Folge dessen die Zwangsräumung (Delogierung) beantragt, die in diesem hier beschriebenen, 49 Minuten dauernden, Termin mündet. Neben Eigentümerin und Mieterin haben sich der (Zwangs-)Vollstrecker und ein Spediteur im Blaumann eingefunden. Jeder taxiert den Inhalt der Wohnung auf seine Weise: der Eine schaut nach Verwertbarem, der Andere schätzt das Räumungsvolumen. Daneben steht ein junger Schlosser im Hintergrund, den man brauchte, um die Tür zu öffnen. Jeder hat seine eigene Perspektive auf das Geschehen. Man redet wenig miteinander, macht sich aber durchaus übereinander aufschlussreiche Gedanken. Dazu hat jeder eigene Sorgen und Befindlichkeiten, die die geforderte gedankliche Professionalität durchbrechen. Gerade diese Abschweifungen machen den Charme des Romans aus, durch sie lernt man die Figuren besser kennen, die abwechselnd zu Wort kommen. Ergänzt wird das Figurenaufgebot durch einen transparenten Hausgeist, der dieses Haus seit über 80 Jahren bewohnt. Er weiß nicht nur vieles über die Familien- und Eigentumsverhältnisse der Bewohner, sondern scheint sich auch um die demente alte Frau zu kümmern.
Ein Setting, das eine ungewöhnliche Lektüre verspricht. Die einzelnen Kapitel sind kurz und immens verdichtet. Jedes reflektiert die Sichtweise einer einzelnen Figur, deren Gedanken authentisch eingefangen werden. Professionelles vermischt sich mit zutiefst Privatem. So wird der Vollstrecker bereits an der Wohnungstür mit seinem akuten Alkoholproblem konfrontiert - auch der Arm des Gesetzes hat demnach seine Schwachstellen. Der Blaumann sieht sich als Opfer seiner südosteuropäischen Herkunft, gesellschaftliche Ressentiments haben ihn seiner Meinung nach zeitweilig in die Kriminalität getrieben. Die Eigentümerin schwankt zunächst zwischen Selbstvorwurf und Rechtfertigung in Bezug auf die Räumungsklage, betrachtet sich dann aber selbstgerecht dem Familienerbe verpflichtet. Ein Erbe freilich, das moralisch nicht völlig unbelastet ist, wie der Hausgeist berichtet.
Hervorragend getroffen sind die konfusen Gedanken der demenzkranken Mieterin, die sich bemüht, die aktuelle Situation zu erfassen, wobei ihr aber immer wieder andere Gedankensplitter und Erinnerungen dazwischen funken. Die emotionale Ebene erfasst sie jedoch erstaunlich klar. Zeit ihres Lebens war die alte Frau ein Bücherwurm, ihr Vater stellte einen enormen Bücherschatz zusammen, der sich noch heute über die Wohnung verteilt. Die belesene Dame vermag Fragmente aus Schillers Bürgschaft zu rezitieren, das Bibliotheksgespenst stellt weitere Literaten vor. Der Wert der stattlichen Bibliothek differiert je nach Auge des Betrachters.
Der schlanke Roman wirft einen scharfen Blick auf die beteiligten Figuren, auf ihre Abgründe und Nöte. Er ist anspruchsvoll konzipiert, seine Qualität erschließt sich erst richtig in einem zweiten Durchgang, der die Zusammenhänge verdeutlicht. Die unterschiedlichen Figuren sprechen in differenzierten Tonlagen. Die eine distanziert-kritisch, die andere jugendlich-belehrend oder auch satirisch-ironisch. Man lernt die Charaktere immer besser kennen, weil sie sich zunehmend weniger zurückhalten und mehr von ihrem Innenleben preisgeben. Ein Buch, das man nicht eben so weg lesen kann, weil sich in den Figuren verschiedene gesellschaftsrelevante Themen spiegeln. Es geht um Eigentum und Besitz, um die ethische Seite von Erbschaften, um vermeintliche Chancengleichheit bei ungleichen Startbedingungen und um sozialistisch-kommunistische Alternativen. Auch latenter Rassismus und Frauenfeindlichkeit lassen sich bei einzelnen Figuren feststellen. Dabei werden die Themenbereiche nur angerissen, sie regen zum Nach- und Weiterdenken an. Auch das Ende lässt Freiraum.
Wer gute Literatur schätzt, kann hier getrost zugreifen. „Realitätenhandlung“ ist ein merkwürdiges, in Teilen auch skurriles Büchlein, das mich gefesselt hat und über das man hier und da auch schmunzeln kann. Österreichische Leser werden noch familiärer mit den häufig vorkommenden Austriazismen umgehen. Es ist in dem Zusammenhang wissenswert, dass Realitäten den deutschen Immobilien entsprechen, was schon dem Titel eine gewisse Doppeldeutigkeit verleiht.
Kein Buch für Jedermann, aber ein reizvoller Genuss für sozialkritische Literaturfreunde.
Eine demenziell erkrankte Mieterin kann ihren Alltag nicht mehr bewältigen, so dass Rechnungen und Mietzahlungen im Rückstand sind. Die Eigentümerin hat in Folge dessen die Zwangsräumung (Delogierung) beantragt, die in diesem hier beschriebenen, 49 Minuten dauernden, Termin mündet. Neben Eigentümerin und Mieterin haben sich der (Zwangs-)Vollstrecker und ein Spediteur im Blaumann eingefunden. Jeder taxiert den Inhalt der Wohnung auf seine Weise: der Eine schaut nach Verwertbarem, der Andere schätzt das Räumungsvolumen. Daneben steht ein junger Schlosser im Hintergrund, den man brauchte, um die Tür zu öffnen. Jeder hat seine eigene Perspektive auf das Geschehen. Man redet wenig miteinander, macht sich aber durchaus übereinander aufschlussreiche Gedanken. Dazu hat jeder eigene Sorgen und Befindlichkeiten, die die geforderte gedankliche Professionalität durchbrechen. Gerade diese Abschweifungen machen den Charme des Romans aus, durch sie lernt man die Figuren besser kennen, die abwechselnd zu Wort kommen. Ergänzt wird das Figurenaufgebot durch einen transparenten Hausgeist, der dieses Haus seit über 80 Jahren bewohnt. Er weiß nicht nur vieles über die Familien- und Eigentumsverhältnisse der Bewohner, sondern scheint sich auch um die demente alte Frau zu kümmern.
Ein Setting, das eine ungewöhnliche Lektüre verspricht. Die einzelnen Kapitel sind kurz und immens verdichtet. Jedes reflektiert die Sichtweise einer einzelnen Figur, deren Gedanken authentisch eingefangen werden. Professionelles vermischt sich mit zutiefst Privatem. So wird der Vollstrecker bereits an der Wohnungstür mit seinem akuten Alkoholproblem konfrontiert - auch der Arm des Gesetzes hat demnach seine Schwachstellen. Der Blaumann sieht sich als Opfer seiner südosteuropäischen Herkunft, gesellschaftliche Ressentiments haben ihn seiner Meinung nach zeitweilig in die Kriminalität getrieben. Die Eigentümerin schwankt zunächst zwischen Selbstvorwurf und Rechtfertigung in Bezug auf die Räumungsklage, betrachtet sich dann aber selbstgerecht dem Familienerbe verpflichtet. Ein Erbe freilich, das moralisch nicht völlig unbelastet ist, wie der Hausgeist berichtet.
Hervorragend getroffen sind die konfusen Gedanken der demenzkranken Mieterin, die sich bemüht, die aktuelle Situation zu erfassen, wobei ihr aber immer wieder andere Gedankensplitter und Erinnerungen dazwischen funken. Die emotionale Ebene erfasst sie jedoch erstaunlich klar. Zeit ihres Lebens war die alte Frau ein Bücherwurm, ihr Vater stellte einen enormen Bücherschatz zusammen, der sich noch heute über die Wohnung verteilt. Die belesene Dame vermag Fragmente aus Schillers Bürgschaft zu rezitieren, das Bibliotheksgespenst stellt weitere Literaten vor. Der Wert der stattlichen Bibliothek differiert je nach Auge des Betrachters.
Der schlanke Roman wirft einen scharfen Blick auf die beteiligten Figuren, auf ihre Abgründe und Nöte. Er ist anspruchsvoll konzipiert, seine Qualität erschließt sich erst richtig in einem zweiten Durchgang, der die Zusammenhänge verdeutlicht. Die unterschiedlichen Figuren sprechen in differenzierten Tonlagen. Die eine distanziert-kritisch, die andere jugendlich-belehrend oder auch satirisch-ironisch. Man lernt die Charaktere immer besser kennen, weil sie sich zunehmend weniger zurückhalten und mehr von ihrem Innenleben preisgeben. Ein Buch, das man nicht eben so weg lesen kann, weil sich in den Figuren verschiedene gesellschaftsrelevante Themen spiegeln. Es geht um Eigentum und Besitz, um die ethische Seite von Erbschaften, um vermeintliche Chancengleichheit bei ungleichen Startbedingungen und um sozialistisch-kommunistische Alternativen. Auch latenter Rassismus und Frauenfeindlichkeit lassen sich bei einzelnen Figuren feststellen. Dabei werden die Themenbereiche nur angerissen, sie regen zum Nach- und Weiterdenken an. Auch das Ende lässt Freiraum.
Wer gute Literatur schätzt, kann hier getrost zugreifen. „Realitätenhandlung“ ist ein merkwürdiges, in Teilen auch skurriles Büchlein, das mich gefesselt hat und über das man hier und da auch schmunzeln kann. Österreichische Leser werden noch familiärer mit den häufig vorkommenden Austriazismen umgehen. Es ist in dem Zusammenhang wissenswert, dass Realitäten den deutschen Immobilien entsprechen, was schon dem Titel eine gewisse Doppeldeutigkeit verleiht.
Kein Buch für Jedermann, aber ein reizvoller Genuss für sozialkritische Literaturfreunde.
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