Rezension (4/5*) zu Pflaumenregen: Roman von Stephan Thome

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.602
21.862
49
Brandenburg
Taiwan – eine Insel, die nie zur Ruhe kommt.

Kurzmeinung: Mit historischen Anklängen versehene generationenübergreifende taiwanesische Familiengeschichte.

Der Autor verpackt einen Teil der Historie der Insel Taiwan, die sich selbst zur Zeit „Chinesische Republik“ nennt, in eine Familiengeschichte. Die Historie der Insel ist bemerkenswert und tragisch; meistens war die Insel unter Besatzungmacht. Japan. China. Man wechselte sich ab, war sich aber darin einig, dass die Einheimischen schikaniert werden müssten.
Stephen Thome zieht den Roman so auf, dass er einen der Söhne der weiblichen Hauptfigur einen Roman über seine Mutter schreiben lässt. So haben wir also den Roman im Roman! Harry, der jüngste Sohn will die Unnahbarkeit seiner Mutter, die er als Kind gespürt hat, mit seinem Buch aufarbeiten. Es ist ihm und damit der Leserschaft klar, dass die taiwanesische Geschichte überaus schmerzhaft für alle Beteiligten gewesen ist. Gefühle durfte man sich nicht anmerken lassen, das war gefährlich. Also verbarg man sie so sehr, dass man sie auch in der Familie kaum kommunizierte. Der ganze Schmerz bricht sich nach innen Bahn. Der Roman beginnt jedoch mit der Kindheit der Protagonistin, als sie noch unbefangen ist und mit wehenden Zöpfen vom Teekannenberg hinunter zur Schule rennt und durchläuft danach und sehr gemächlich !!! mehrere Generationen.

Der Kommentar:
Wer weiß schon etwas über die pazifischen Kriege? Schon allein das Thema ist zu honorieren. Wir wissen viel zu wenig, was jenseits von Europa von Belang ist oder auch von Belang gewesen ist. Freilich hat Stephen Thome eine persönliche Liebesgeschichte mit dem Land. Das merkt man. Das ist ein Glücksfall.
Wenn man als Leser auch nicht mit allzu vielen Fakten oder Daten konfrontiert wird, erfährt man doch mehr als man vorher wusste über die taiwanesische Problematik, über den Pazifikkrieg in den 1940ern, vor allem aber darüber, was es bedeutet, fortwährend unter einer Besatzungmacht zu leben und von objektiven Informationen abgeschnitten zu sein. Schikane ist Alltag und Rassismus ist nicht nur ein europäisches Phänomen!
Sehr gerne hätte ich am Ende des Romans einen Ausblick über die heutigen japanisch-chinesischen Beziehungen gehabt, aber Thome bleibt leider sehr nah an der Familiengeschichte. Sie spielt auf zwei Zeitebenen, wobei die Zeitebene, in der die Protagonistin alt ist und ihr Sohn für sein Buch Recherche betreibt, zum Teil die bereits anfänglich erzählte Storyline wiederholt, beziehungweise spiegelt. Sprachlich steht Stephen Thome für Niveau und literarische Qualität. Da gibt es nix zu kritteln.

Fazit: ein Film mit Überlänge? Der zweite Erzählstrang hätte gut gekürzt werden können. Davon abgesehen aber ist „Pflaumenregen“ ein empathischer, authentischer Roman über die Auswirkungen wechselnder Besatzungsmächte auf ein Land am Beispiel Taiwans und einer inseltypischen Familie.

Die beiden Sprecher, Luise Georgi und Frederic Böhle machen ihre Sache sehr gut; wobei ich der weiblichen Sprecherin den Vorzug gebe. Aber das ist reine Geschmacksache.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Suhrkamp audio, 2022