Rezension Rezension (4/5*) zu Olga von Bernhard Schlink.

wal.li

Bekanntes Mitglied
1. Mai 2014
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Starke Frau

Schon als Kind hat es Olga nicht leicht, sie wächst eher bei der Nachbarin auf, ihre Eltern sterben früh, bei der Großmutter fühlt sie sich nicht angenommen. Erst als die Kinder des Gutsherrn in der Schule aufgenommen werden, die als anderen Gründen Außenseiter sind, entsteht für Olga ein Gefühl der Zugehörigkeit. Lange sind sie unzertrennlich Olga, Herbert und Viktoria. Nur wegen einer Bemerkung Viktorias beginnt Herbert Olga mit anderen Augen zu sehen. Doch im ausgehenden 19. Jahrhundert kann ihre Beziehung keine Zukunft haben. Olga schafft es, ein Studium zu absolvieren und eine Anstellung als Lehrerin zu finden. Herbert dagegen entwickelt sich zum Abenteurer und Forschungsreisenden.

Lange Jahre umspannt diese Geschichte, Olgas Leben und das ihres Ziehenkels Ferdinand. Olgas außergewöhnlich starke Persönlichkeit überstrahlt die Handlung des Romans. Wie viele Menschen haben es zu damaliger Zeit geschafft, sich von ihrer ärmlichen Herkunft in gewisser Weise zu befreien und durch das Lernen und ein Studium ihrer angestammten Klasse zu entwachsen. Leider standen auch Olga nicht alle Möglichkeiten offen. Weise verzichtet sie auf eine Ehe mit Herbert, die angesichts der Wiederstände aus dessen Familie wohl dem Untergang geweiht gewesen wäre. Sie steht zu sich selbst diese Olga, sie wächst, sie wird zu einer in sich ruhenden Persönlichkeit.

Mit Bernhard Schlink hat der Literaturbetrieb einen wirklich außerordentlich beachtenswerten Autor. Er versteht es mit kurzen scheinbar einfachen Sätzen Szenerien zu erschaffen, die mit großer Tiefe überraschen. Auch wenn Olga in ihrer Stärke auch eine gewisse Härte entwickelt und nicht jede ihrer Regungen nachvollziehbar ist, so mag dies vielleicht auch an der Leserin liegen, die ja glücklicherweise in einer weniger einengenden Zeit aufwachsen durfte, die vielleicht auch der Schicht, in die sie hineingeboren wurde, entwachsen durfte. Was der Autor jedoch sehr klar und eindringlich zum Ausdruck bringt, ist das Olga sehr durchsetzungsstark ist und sich selbst Möglichkeiten schafft, die ihr die Gesellschaft eigentlich nicht geben will. Solche klugen und willensstarken Menschen könnten wir in unserer verweichlichten Welt durchaus mehr brauchen.

Bernhard Schlink schafft es einfach, einen zum Nachdenken zu bringen und so Gedanken in sich zu finden, von denen man vorher nichts geahnt hat.


 
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