Rezension Rezension (4/5*) zu Nur zusammen ist man nicht allein: Roman (insel taschenbuch) von Mike Gayle.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Jeder trauert auf seine Weise...

Der Verlust eines nahen Menschen ist für niemanden leicht zu ertragen. Doch Tom zieht es im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen weg - als seine Frau tödlich verunglückt, bleibt die Welt für ihn stehen. Nach Lauras Tod verkriecht er sich in sein Bett und bekommt nichts mehr von dem mit, was um ihn herum geschieht. Später stürzt er sich in seine Arbeit und konzentriert sich nur noch darauf, um an nichts anderes mehr denken zu müssen. Dumm nur, dass da seine zwei Töchter sind, die ihren Vater gerade jetzt brauchen würden, denn schließlich haben sie durch den Unfall ihre Mutter verloren.


"Bevor ich ging, sage ich noch, sie solle sich von den beiden nicht ärgern lassen, gab ihr einen letzten Kuss und sprang ins Auto, ohne mich noch einmal umzudrehen. Und ohne den Hauch einer Ahnung, dass ich sie nie wiedersehen würde." (S. 28)


Glücklicherweise erkennt Lauras Mutter Linda die Lage und springt ein, obwohl die Trauer um ihre Tochter sie selbst fast zerreißt. Aber sie spürt, dass sie stark sein muss für ihre Enkelinnen und auch für Tom. Doch als dieser auch nach einem Jahr keine Anzeichen erkennen lässt, dass er in der Verarbeitung des Geschehens auch nur einen Schritt weitergekommen ist, beschließt Linda, dass die Zeit für eine Veränderung gekommen ist. Um Tom zu einer Veränderung zu zwingen, erklärt sie ihm, dass sie ihre Freundin Moira in Australien besuchen wird - für mindestens ein halbes Jahr! Tom fällt aus allen Wolken, doch als er erkennt, dass es Linda ernst ist, stellt er sich gezwungenermaßen seiner neuen Aufgabe. Er beginnt, den Alltag zu meistern und lernt seine Töchter Evie und Lola neu kennen. Und Tom fängt an, sich seiner Trauer zu stellen...

Mike Gayle hat hier einen gefühlvollen, angenehm zu lesenden Roman geschrieben. Obwohl ich die ganze Zeit eher das Empfinden hatte, ein amerikanisches Buch zu lesen - die Briten gelten als zugeknöpfter, und hier kreist das Geschehen die ganze Zeit um die Gefühle und Gedanken der Hauptcharaktere, ist es zu keinem Zeitpunkt kitschig oder dramatisierend. Besonders gefallen hat mir die wechselnde Perspektive des Geschehens, einmal erzählt aus der Sicht von Tom, dann wieder aus der von Linda, seiner Schwiegermutter. So erlaubt der Autor dem Leser, die Ereignisse aus verschiedenen Sichtweisen zu erleben und rundet das Bild der Charaktere damit ab. Der Roman spielt damit etwa zur Hälfte in Australien bei Linda und zur anderen Hälfte in England bei Tom und seinen Töchtern.

Die Gefühle der Charaktere werden vom Autor glaubwürdig und authentisch geschildert, und gut zu erkennen sind auch die verschiedenen Phasen der Trauer. Die Mädchen kommen hier vielleicht ein wenig zu kurz, doch durch die Schilderung ihres Verhaltens wird auch ihre Gefühlslage deutlich. Auch als die Phase beginnt, wo zu erkennen ist, dass die Normalität allmählich wieder Einzug hält, sichtbar wird, dass das Leben weiter geht, spielen die Erinnerungen immer wieder eine Rolle - und auch das wirkt sehr glaubhaft. Das ganz normale Chaos des Alltags, Freundschaften, besondere Herausforderungen, neue Erkenntnisse, Erinnerungen, neue Wege, die vielleicht in Sackgassen münden, all dies ist Teil dieses Romans und lässt den Leser für kurze Zeit Teil dieser Familie werden.


"Manchmal ist Liebe mehr eine Entscheidung als ein Gefühl. Und manchmal muss man eben die Entscheidung treffen, sich an die guten Zeiten zu erinnern und den Rest zu vergessen." (S. 267)


Linda war mir als Charakter sehr sympathisch. Eine ältere Frau, die schon manches Schicksal in ihrem Leben gemeistert, nun aber ihre Tochter verloren hat. Doch sie erweist sich als die Starke, ist für ihre Enkelinnen und ihren Schwiegersohn da und sorgt dafür, dass die Familie nicht auseinanderbricht. Mit ihrer Entscheidung, für einige Zeit nach Australien zu gehen, zieht sie die Reißleine, damit Tom und seine Töchter wieder zueinander finden und nicht einfach nur nebeneinanderher leben. In Australien muss sie sich allerdings ihren Gefühlen stellen - und nimmt auch diese Herausforderung an.

Mit Tom hatte ich mehr Schwierigkeiten, da ich manche seiner Reaktionen nicht wirklich nachvollziehen konnte. Manches wirkte einfach überzogen und egoistisch, und auch wenn ich glaube, dass manche Menschen so sind, gefiel mir nicht immer, was ich da las. Doch insgesamt haben die Ereignisse auch den Familienvater reifen lassen, so dass ich mich im Großen und Ganzen letztlich mit diesem Charakter versöhnen konnte. Denn schließlich trauert jeder auf seine Weise.

Insgesamt hat Mike Gayle hier eine schöne Mischung geschaffen aus sehr emotionalen Szenen und Abschnitten, die dem Leben als solchem gewidmet sind, oftmals durchzogen von köstlichem Humor. Clive z.B., den Tom in einer Trauergruppe kennenlernt, ist immer für einen trockenen Spruch zu haben und hat dabei ein Herz aus Gold.


"Es spielt ohnehin keine Rolle", antwortete ich. "Ich glaube nicht, dass wir uns wiedersehen werden. Sie war wirklich nett, aber zwischen uns hat es nicht gefunkt." --- "Was soll sie denn sein?", fragte Clive. "Ein Sendemast oder was? (...) Funken, oder wie auch immer du sie nennen willst, passieren nicht einfach, die macht man sich." (S.241 f.)


Ein Roman, der eine Achterbahn der Gefühle bietet ohne dabei kitschig zu werden und der den Leser letztlich mit einem eher offenen Ende versöhnt zurücklässt. Für mich ein angenehmes Leseerlebnis...


© Parden