Rezension Rezension (4/5*) zu Morenga: Roman von Uwe Timm.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Buchinformationen und Rezensionen zu Morenga: Roman von Uwe Timm
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Die Deutschen in Südwest-Afrika

In „Morenga“ führt uns Uwe Timm ein sehr in Vergessenheit geratenes Kapitel der deutschen Geschichte auf sehr dokumentarische Weise vor Augen: die Kolonialzeit in „Deutsch“ Südwest Afrika.
Aus Anlass des 80. Geburtstags des Autors hat der dtv-Verlag auch diesen Roman von Uwe Timm noch einmal aufgelegt. Die Erneuerung, die natürlicherweise eine Verbesserung und Aktualisierung sein sollte, drückt sich dabei durch ein Nachwort des Grünen-Politikers und Autor Robert Habeck aus, wo der Roman vielleicht eher eine dokumentarische Stütze für den Leser durch eine Karte und einige historische Fakten hätte gebrauchen können.
Der Roman begleitet in seinen Hauptzügen den Veterinär Gottschalk, der sich freiwillig zu diesem Dienst im fernen Afrika gemeldet hat, weil er sich sehr verschwommen und undeutlich eine private Zukunft in diesem Teil der Welt als Grundbesitzer und Ehemann auszumalen versucht. Diesen diffusen Traum wird er im Verlauf der etwa 2 im Roman geschilderten Jahre aber aus den Augen verlieren, ohne so recht eine neue Perspektive aufzubauen. Auf Seiten der revoltierenden und gegen die Deutschen kämpfenden heimischen Herero und Nama steht der Titelheld Morenga, der dem Leser aber nur selten und nur auf recht große Distanz begegnet. Die Kämpfe zwischen den am falschen Fleck Heimat suchenden Deutschen und den Heimat verteidigenden Farbigen führen zu vielen Toten, Leid und Unfreiheiten. Das Personal des Romans macht diese Kämpfe in den jeweils zu spielenden Rollen mit, ohne dass die Sinnfrage wirklich gestellt oder auch nur annäherungsweise gelöst wird.
In einem Wechsel von abgedruckten Zeitdokumenten aus behördlicher oder privater Feder und den Ausführungen des Autors über sein Romanpersonal versucht der Leser in dem Roman sich ein Bild zu machen von dem Geschehen und den Haltungen und Stimmungen der handelnden Personen. Das verlangt dem Leser sehr viel Aufmerksamkeit ab, denn weder sind diese dokumentarischen Stellen visuell von der Autorenprosa abgegrenzt, noch erkennt man am Sprachstil einen deutlich zu Tage tretenden Unterschied. Die Sprache ist häufig mehr als sperrig und „unliterarisch“, trägt die Züge von Historischem, Militärischem und Bürokratischem und lässt so den Leser alles andere als eintauchen in diese fremde Welt. Diese Sprache lässt auch die Haltung und Wertung des Autors und seines Haupthelden zu dem Geschehen sehr stark verschwimmen. Grenzt er sich ab? Ist er unterstützend dabei? Fast kapitelweise muss der Leser diese Frage neu ausloten und wird so immer wieder vom Autor enorm gefordert.
Die Lektüre des Buches fühlt sich dabei immer wieder wie harte Arbeit eines Historikers an. Doch wie es bei harter Arbeit so ist: Ist man dann am Ende und kann das Ergebnis bestaunen, dann bringt gerade die eingesetzte Mühe das Vergnügen und die Zufriedenheit.
Deshalb habe ich am Ende der Lektüre auch ein klar positives Urteil zu diesem Roman, der mich zwischendurch immer wieder Nerven gekostet hat und ich unterstreiche, dass der dokumentarische Habitus, den Timm her gewählt hat, letztlich komplett aufgeht und für mich absolut Sinn gemacht hat.
Ich gebe dem Roman gute 4 Sterne und drücke meine Freude aus, dass ich ihn hier in einer leserunde lesen konnte.