Rezension Rezension (4/5*) zu Mit der Faust in die Welt schlagen: Roman von Lukas Rietzschel.

Bibliomarie

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10. September 2015
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Wenn nichts bleibt

Wir schreiben das Jahr 2000. Aus den versprochenen blühenden Landschaften sind öde, verlassene Gegenden geworden. Dort wachsen die Brüder Philipp und Tobias auf. Zwar hat man den verhassten Plattenbau am Ortsrand hinter sich gelassen und ein kleines, mit viel Eigenleistung erbautes Einfamilienhaus bezogen, aber das war es dann auch schon an Idylle. Es gibt nichts, was Anregung oder Freizeitgestaltung verspricht, wenn man den verlassenen, überwucherten ehemaligen Steinbruch außen vor lässt. In den Ferien gibt es nur das Fernsehen, die Eltern arbeiten und ein gemeinsamer Urlaub ist nicht im Familienbudget drin.

Die Lehrer und die Erwachsenen schweigen, an einem Plattenbau mit schwarz verrußten Fenstern fährt man schnell vorbei. Wenn mal jemand was sagt, dann ist von „Zecken“ und „Polacken“ die Rede. In dieser hoffnungslosen Umgebung wachsen die Brüder heran, bald üben die Halbwüchsigen, die mit ihren Motorrädern vor der Schule posieren einen großen Reiz auf sie auf. Sie haben einfache Lösungen und große Sprüche parat, während Philipp den Irrweg erkennt, ist Tobias bald ganz in der Faszination der Szene gefangen.

Ganz kühl und sachlich und ohne Emotionen schildert der Autor eine Gegend, die er aus eigenem Erleben kennt. Er ist in Ostsachsen geboren und aufgewachsen. Wenn man verstehen will, wie sich eine Grundhaltung in der Bevölkerung entwickeln konnte, der wir fremd und mit Entsetzen gegenüber stehen, wird in diesem Roman viel Hintergrund finden. Die Trostlosigkeit der Landschaft und der Orte, denen Arbeitsplätze weggebrochen sind, deren Bewohner zwischen Resignation und Trotz schwanken, setzt sich in der Familiengeschichte fort.

Ich konnte wenig Empathie für die beiden Hauptprotagonisten entwickeln, dazu ist Rietzschels Schreibweise zu distanziert. Ich finde aber, dass er genau den Ton getroffen hat, der zu dieser Geschichte passt.
Wenn nichts bleibt, wenn es keine Hoffnung gibt, keine Perspektiven, dann scheinen die, die am lautesten schreien und die griffigsten Parolen haben, doch Recht zu behalten.

Ich hätte mir im Roman manchmal etwas mehr Stringenz gewünscht, die Lektüre war kein Vergnügen, aber ich halte es für ein wichtiges und wahres Buch.


 

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