Rezension (4/5*) zu Meter pro Sekunde: Roman von Stine Pilgaard

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Buchinformationen und Rezensionen zu Meter pro Sekunde: Roman von Stine Pilgaard
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Eine Brise Ernst. Eine Brise Humor.

Kurzmeinung: Bestseller aus Dänemark. Leichte Unterhaltung. Habe ich dennoch gerne gelesen.


Die namenlose Ich-Erzählerin von „Meter pro Sekunde“ hat zwei Probleme. Einerseits hat sie eine lose Zunge und andererseits ist ihr neues menschliches Gegenüber der Westjütländer. Dort ist man wie in Friesland, Ost und West, wortkarg. Wenn der Westjütländer etwas sagt, dann ist es ein streng rationaler und vor allem kurzer Satz. Andererseits ist er mit Esels- und Engelsgeduld ausgestattet, wenn er auf Persons trifft, die mit too much information, zum Beispiel über ihr Sexualleben ihm einfach nur peinlich sind.

Ja, die Erzählerin ist ihrem Noch-nicht-Gatten, sie haben ein Baby, ins berufliche Umfeld gefolgt. Sie lebt mit ihm, der nun angebeteter und umschwärmter Lehrer ist, in einer Einrichtung, die sich „Heimvolkshochschule“ schimpft, was so etwas wie eine Internatsschule sein muss. Und das noch in ländlicher Umgebung. Das Institut wiederum versucht, die Angehörigen des Lehrkörpers miteinzubeziehen, was zuweilen durchaus übergriffig ist.

So laviert die Erzählerin zwischen den beiden Polen Distanz und Nähe. Vom Institut würde sie sich gerne mehr abgrenzen und Besuche der Interns auf ihrem Grundstück zu nächtlicher Stunde unterbinden, mit den Einheimischen dagegen würde sie liebend gerne richtig warm werden und Freunde unter ihnen finden. Diese aber haben mit ihrem stoischen Gleichmut eine freundliche, aber quasi undurchdringliche Barriere gegen Fremde aufgebaut. Und wenn man so eng zusammenlebt wie sie in ihrem kleinen Ort, dann ist zu viel Nähe gefährlich. Mit Wortlosigkeit tut man sich nicht weh. Wird die Protagonistin das begreifen? Wie der Westjütländer tickt?

Immer wieder ist die Erzählerin erstaunt über deren innere Distanz: wir sind doch Freunde, fragt sie, oder nicht? Und bekommt ein nachdenkliches Kopfwiegen. Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Man wird sehen, wie du dich bewährst.

Der Kommentar:
Wie die Protagonistin, in kleinen Episoden, ihr Leben schildert, hat durchaus Witz. Auch sprachlich ist das Büchlein weit über „Lädchenbuchniveau“. Allerdings sind die Ideen der Autorin, sagen wir einmal so, nicht immer ganz taufrisch, der Job der Kummerkastentante bzw. „Dr. Sommer antwortet“ zum Beispiel, ist, trotz allen Bemühens um originelle Zuschriften und noch originelleren Antworten obsolet: dieser Drops ist gelutscht. Anderes ist total übertrieben; das verzeiht man einer Persiflage auf das Landleben aber gerne. Mütter werden sich beim Thema Schlaflosigkeit und deren Auswirkungen verstanden fühlen.

Trotz einiger Kritikpunkte sind die Alltagsbeobachtungen einer jungen Mutter aus der Stadt und die Darstellung ihres Gegenübers, dem Westjütlander, recht gelungen. Und trotz der kurzen Handlungsepisoden, keine ist länger als drei Seiten, erstehen vor dem Leserauge prägnante Persönlichkeiten. So könnten sie sein in Westjütland. So oder so ähnlich. Man schließt sie schnell ins Herz.

Fazit: Sowohl Distanz wie auch Distanzlosigkeit können im menschlichen Miteinander zu Problemen führen. Und gegenüber Vereinnahmungsversuchen schützt jeder Zeit eine gute Portion Humor.

Kategorie: Humor. Leichte Unterhaltung
Kanonverlag, 2022

von: Horst Eckert
von: Maggie O'Farrell
von: Jim Butcher
 

otegami

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17. Dezember 2021
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49
71
Wow, da bin ich ja jetzt total baff, @Wandablue: nur einen Stern weniger als ich bei der Rezi zu diesem Buch - also damit hätte ich nie gerechnet :cool: ! (Ich hätte vermutet, dass Du dieses Buch total 'niedermachst' - nix damit anfangen kannst!)

Die Ideen mit der Kummerkastentante mögen jedoch vielleicht 'obsolent' sein, meine besonderen Leckerbissen waren (ich schrieb es schon in meiner Rezi): ‚Blutsbande sind keine rote Seidenschleife, sondern ein abgenutztes Springseil, eine Nabelschnur, mit der wir an Händen und Füßen gefesselt sind.‘ (Antwort an das ‚schwarze Schaf‘ mit Familienproblemen) oder ‚Beobachte das Verhalten von deinem Date gegenüber den Angehörigen der Dienstleistungsbranche. Darin liegt der Schlüssel zu seiner wirklichen Natur.‘ (Tipp an die ‚liebe Naive‘, die Männer schon beim 1. Date durchschauen möchte, damit sie nicht wieder verletzt wird.) Dazu fiel mir nämlich ein, dass nicht umsonst manche Chefs potentielle Bewerber für einen Posten zum Essen einladen. ;)

Die 'namenlose Erzählerin' hieß übrigens Dolph. (Stand irgendwo mal dazwischen!)
 

otegami

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Von Spitzname habe ich nichts gelesen, nur irgendwann 'Dolph = Vorname der Ich-Erzählerin' notiert. ;)
Interessanterweise habe ich gerade gelesen: 'Schwedische Kurzform von Namen, die mit "-dolph" enden, wie Adolph, Rudolph, Randolph.' Und es ist ein männlicher Vorname! (Bedeutung: edler Wolf; ruhmreicher Wolf; Wolf mit Schild)
(Spielte die Autorin mit dem Kontrast zwischen Bedeutung des Namens und der Darstellung der Protagonistin? :D )
 
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Barbara62

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19. März 2020
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Danke, @otegami. Dolph hatte ich vergessen. Aber das war ihr Spitzname. Oder?
Diese von dir erwähnten Weisheiten haben das ganze Buch gerettet! Aber wäre es nicht schön gewesen, die Autorin hätte sie in etwas anderes eingepackt?
Ich fand das Buch ja nicht so gut wie ihr, aber die Weisheiten waren trotzdem noch das Lesenswerteste.
Bin ich denn die Einzige, die die nervige, völlig unmotivierte und unpassende Dauer-Qualmerei aller und überall und auf jeder Seite (!!) genervt hat? Und das in einem skandinavischen Land? Im Fahrschulauto?
Innovativ finde ich - mehr als den Text - die Herstellung mit dem 3/4-Schutzumschlag, das ist wirklich originell.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Bin ich denn die Einzige, die die Dauer-Qualmerei aller und überall gestört hat? Und das in einem skandinavischen Land?
Ja mei, ich saß ja nicht dabei. Hat mich nicht gestört, tatsächlich.
Also "gut" ist es unter dem Aspekt der leichten Muse. Verglichen mit Hochliteratur hätte ja alles nur einen Stern verdient, darum meine Einteilung in Kategorien, die mir insofern Großzügigkeit ermöglicht.
 
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Barbara62

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Ja mei, ich saß ja nicht dabei. Hat mich nicht gestört, tatsächlich.
Also "gut" ist es unter dem Aspekt der leichten Muse. Verglichen mit Hochliteratur hätte ja alles nur einen Stern verdient, darum meine Einteilung in Kategorien, die mir insofern Großzügigkeit ermöglicht.
Wenn ich aber vom Kunden her denke, könnte ich dieses Buch nicht der Zielgruppe andrehen, die leichte Lädchen-Bücher sucht. Das heißt, ich könnte schon, aber es wäre nicht, was sie möchten. Insofern passt "leichte Unterhaltung" irgendwie auch nicht.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Es geht nicht immer darum, was "wer möchte". Es ist leichte Muse.
Aber ich gebe dir insofern natürlich recht, als genau diese Zielgruppe in der LR, in der ich den Roman las, heftig moserte ;-).
 
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Barbara62

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Es geht nicht immer darum, was "wer möchte". Es ist leichte Muse.
Aber ich gebe dir insofern natürlich recht, als genau diese Zielgruppe in der LR, in der ich den Roman las, heftig moserte ;-).
Als Buchhändlerin muss ich mir diese Frage natürlich schon stellen. Und ich tue mich schwer damit, die Zielgruppe zu bestimmen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Haha, ich lach mich scheckig! Da hat Wanda die eine Leserunde schwitzend überstanden, dann muss sie hier glatt nochmal ran und sich für das Tingeltangelbuch (dessen Sujet offenbar schwer zu bestimmen ist) ins Zeug werfen:D
 
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otegami

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17. Dezember 2021
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Najaaaaa, dannnnn! ;)

Ich sah eine junge Frau, in die ich mich sehr gut reinversetzen konnte, weil ich auch diese Situation gelebt habe. Voller Östrogen (dadurch auch ihre katastrophalen Fahrstunden :D), chaotisch und nicht immer den richtigen Ton in der neuen Umgebung treffend, versucht sie in der neuen Umgebung klarzukommen, dazu die schlaflosen Nächte..........

Bei mir kam noch dazu, dass wir auf einem Nest im Haus der Schwiegereltern wohnten, Schwiegermutter bei jedem Schritt und Tritt ungebeten ihre Kommentare abgab , wir kein Telefon hatten und mein Mann den ganzen Tag das Auto hatte. (Heutzutage würden wahrscheinlich viele junge Frauen schreiend die Flucht ergreifen. :p )
Die Freundin unserer Tochter (3 Töchter) sagte so schön während ihrer Stillzeit: "Ich bin z.Zt. a weng deppert, aber das legt sich wieder." (Sie strotzt normalerweise vor Selbstbewusstsein!)

Aber es ist immer wieder interessant, wie unterschiedlich die Leser und Leserinnen ein Buch lesen und empfinden! ;) (Die eigenen Erlebnisse und Einstellungen fließen halt immer mit rein!)