Linden Hills – wer hier lebt, hat es geschafft. Elegante Häuser und perfekt gepflegte Rasen säumen die acht Ringstraßen, die sich den Hügel hinabwinden. Lester und sein bester Kumpel Willie, beide verflucht knapp bei Kasse, verabscheuen die noble Klientel, reinigen aber für ein paar Dollar ihre Auffahrten und Pools.
Vorbei an glänzenden Fassaden und übertünchten Rissen arbeiten sie sich Straße für Straße den Hügel hinunter. Bis ganz nach unten, wo Luther Nedeed, das Epizentrum der Macht, ein finsteres Geheimnis hütet.
Gloria Naylor enthüllt, wie die Menschen für den American Dream mit ihrer Seele bezahlen und wie das funkelnde Versprechen eines besseren Lebens in schneidende Niedertracht zersplittert.Kaufen
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Immernoch gibt es zahlreiche blinde Flecken gerade was die afroamerikanische Literatur betrifft. Einige Stimmen konnten sich Gehör verschaffen, wie beispielsweise James Baldwin, Toni Morrison, Zora Neale Hurston und Alice Walker. Diese Literaturen geben Einblick in die Lebenswelten von Menschen mit schwarzer Hautfarbe und tragen zur Erweiterung des vorherrschenden Tunnelblickes bei. Aus erster Hand erfahren LeserInnen mehr über Rassismus sowie über damit verbundene Aspekte wie Unterdrückung, Armut, Gewalt und gesellschaftiche Marginalisierung.
Gloria Naylor schrieb ihren Roman "Linden Hills" bereits im Jahr 1985, wurde jedoch erst jetzt ins Deutsche übersetzt. Es ist das große Verdienst des Unionsverlages, hier eine sehr interessante Autorin entdeckt zu haben, deren Werk nun einer interessierten Leserschaft zugänglich gemacht werden kann. Gloria Naylor verdient es, endlich eine Stimme zu bekommen, von der ich hoffe, dass sie viel Gehör finden wird. Warum? Ich denke, dass diese Autorin mit ihrem stark gesellschaftskritischen Blick in "Linden Hills" gängige und weit verbreitete Denkstrukturen und vor allem Dualismen hinterfragt und so einen differenzierten Blick ermöglicht, der über schwarz-weiß Logiken hinaus geht.
Worum geht es also in "Linden Hills"? Als Kernthema kann man sicherlich die Dynamik des Strebens nach gesellschaftlichen Aufschwung bezeichnen - jedoch eben in einer Welt, wo Schwarze unter sich bleiben und die Möglichkeit dazu haben. Seit 1920 sorgten unterschiedliche Generationen der Nedeeds mit dem Erwerb eines Stückes Land und ausgefeilten Pachtverträgen dafür, Schwarzen nicht nur eine Heimat zu geben, sondern einen Ort zu schaffen, der ihnen Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen sollte, die ihnen anderenorts verwehrt blieben. Linden Hills ist ein Hügel, von dem diverse Straßen ausgehen, die ausschließlich von Schwarzen bewohnt werden. Nach dem Vorbild der Weißen gibt es durchaus auch dort eine gewisse Rangordnung, die auf die Schattenseiten einer angestrebten paradiesischen Welt verweist, denn dieses scheint nicht jedermann offen zu stehen.
All dies erfahren wir durch die Perspektive zweier jugendlicher Männer, Willie und Lester, die kurz vor Weihnachten auf der Suche nach Gelegenheitsjobs sind, um Geschenke kaufen zu können. Sie arbeiten für die verschiedenen Bewohner von Linden Hills, halten deren Einfahrten sauber und lassen uns an ihren Beobachtungen zu den Bewohnern teil haben. Sie sind die beiden Hauptprotagonisten des Romans.
Zentral ist aber auch die Figur des aktuellen Luther Nedeeds, der das Werk der Vorgänger-Generationen auf "Linden Hils" weiter führt und so seinen Stempel aufdrückt. Dennoch setzt er die Traditionslinie der Familie fort, indem auch er als Bestatter tätig ist und sich an patriachalen Vorstellungen orientiert, denen zufolge die Ehefrau weiß zu sein und einen Sohn zu schenken hat. Mehr möchte ich eigentlich an dieser Stelle nicht über den Roman verraten, um dem interessierten Leser das Vergnügen seiner literarischen Entdeckungsreise nicht zu schmälern.
Zugegeben, ich brauchte meine Zeit um in diesen Roman hineinzufinden. Zum einen lernt man zunächst eine ganze Reihe von Personen kennen und muss sich erst mal zurechtfinden. Zum anderen gibt es aber auch keine stringente Handlung, die schrittweise entfaltet wird. Als ich mich jedoch etwas eingelesen hatte, war ich von Linden Hills und dem Leben dort sehr angesprochen. Sehr gut gefällt mir, wie Naylor mit gängigen Klischees über Schwarze und Weiße bricht und stattdessen Differenzen in der schwarzen Community selbst thematisiert. Einen solchen Roman habe ich zuvor noch nicht gelesen. Es macht für mich den besonderen Reiz des Romans aus und verleiht dem Ganzen eine gehörige Portion Gesellschaftskritik. Auch die Verpackung ist sehr ansprechend, denn die Sprache der Autorin ist sehr ausdrucksstark.
Innerhalb der Leserunde, in der ich das Buch las, wurde ich auf weitere Aspekte aufmerksam gemacht, die ich selbst mangels Vorwissen nicht entdeckt hätte, so etwa der Bedeutung von Dantes Inferno. Dennoch bin ich auf der Aufassung, dass man diesen Roman auch gewinnbringend ohne eine solche Vorkenntnis lesen kann. Ich empfehle "Linden Hills" mit Nachdruck und freue mich darauf, weitere Werke der Autorin für mich zu entdecken.