Rezension (4/5*) zu Lektionen von Ian McEwan

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Buchinformationen und Rezensionen zu Lektionen von Ian McEwan
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Ein weitschweifiges Alterswerk...

Die Romane des britischen Romanciers Ian McEwan gehören zweifelsohne zur gehobenen Liga der europäischen Literaturszene. Die bisher von mir gelesenen Romane des Autors konnten mich auch jedesmal beeindrucken. Leider hatte ich dieses Mal mit dem weitschweifigen Alterswerk McEwans so meine Mühe (immerhin 720 Seiten).

Präsentiert wird hier mit Roland Baines eine Hauptfigur, die zu der Vita McEwans etliche Parallelen aufweist. In Aldershot (Schottland) als Sohn eines hochrangigen Militärs geboren, wuchs Baines ebenso wie der Autor in den Jahren seiner Kindheit in fernen Ländern auf, bis die Eltern beschlossen, den Jungen in ein Internat in England zu geben. Sechzig Jahre lang begleitet der Roman seine Hauptfigur durch sein Leben, einsetzend im 11. Lebensjahr, als Baines als talentierter Klavierschüler im Internat Klavierunterricht erhält. Sexuelle Übergriffe durch seine Musiklehrerin münden in eine Hörigkeit Baines, als er 14 Jahre alt ist. Eine sexuelle Getriebenheit, die sein ganzes weiteres Leben bestimmen wird. Ein zweites einschneidendes Erlebnis ereignet sich zwanzig Jahre später. Baines wird von seiner Ehefrau Alissa verlassen, er bleibt alleine mit seinem sieben Monate alten Sohn in seinem renovierbedürftigen Londoner Haus zurück und wird darüber hinaus zunächst auch noch des Mordes an Alissa verdächtigt, da diese spurlos verschwunden ist.

Damit sind die zwei markanten Lebensereignisse des eher stillen und unauffälligen Roland markiert, der sein Leben vor sich hin lebt, selten die Initiative ergreift, sondern schaut, was da so kommt und dabei damit hadert, welche Chancen ihm genommen wurden. Ein eher alltägliches Leben führt er, obschon seine Gedanken erkennen lassen, dass er der Welt intellektuell zu begegnen vermag. Es gibt diskussionsfreudige Bekanntschaften und Freunde, Liebschaften zuweilen, selten Verbindliches. Aber seine Rolle dem Sohn gegenüber, die füllt er aus so gut er es vermag, nimmt ihm gegenüber auch keinen Postition ein gegen die verschwundene Mutter.

Meilensteine des Weltgeschehens säumen die Erzählung um den eher unscheinbaren Mann, der oft nicht weiß, was er sich vom Leben erhoffen soll. Manches hält nur kurz Einzug, wie zu Beginn die Zeit nach der Tschernobyl-Katastrophe, anderes wird intensiv betrachtet, wie beispielsweise die Geschichte um die Weiße Rose, die nahezu essayhaft seziert wird, oder auch der Fall der Mauer in Berlin, den Roland (wie Ian McEwan seinerzeit auch) live miterlebt. Jede Menge Zeitgeschehen also, häufig gespickt mit McEwans Ansichten dazu. Leider empfand ich dadurch v.a. die ersten zwei Drittel des Romans als überaus langatmig, anstrengend und zäh, v.a. die eher berichthaft gestalteten Passagen, alles plätscherte für mein Empfinden vor sich hin, das Gefühl stellte sich ein, überhaupt nicht voran zu kommen.

Erst im letzten Drittel versöhnte ich mich allmählich mit dem Roman. Davor liegengelassene Handlungsstränge werden zuletzt wieder aufgenommen, wodurch das Bild runder wird, sich Kreise schließen. Roland Baines wird endlich greifbarer, auch wenn es ihm einfach nicht liegt, Entscheidungen zu treffen, ihm passiert das Leben lediglich, und er hält es aus bzw. arrangiert sich damit. Prägende Erlebnisse lassen sich nicht rückgängig machen - doch Roland erkennt nun immerhin, dass es sich nicht lohnt, in der Vergangenheit festzuhängen. Altersmilde findet er sich schließlich mt seinem Leben ab und hadert nicht länger mit möglicherweise verpassten Chancen.

Letztendlich habe ich lange zwischen 3 und 4 Sternen geschwankt und mich schließlich zum Aufrunden entschlossen. Ein anstrengend zu lesendes und weitschweifiges Alterswerk hat McEwan hier präsentiert, und wie sein Held Roland Baines war ich am Ende milder gestimmt. Aber sein bester Roman ist dies für mich definitiv nicht.


© Parden

 
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