Rezension Rezension (4/5*) zu Juni '53: Kriminalroman von Frank Goldammer.

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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52
Freiheit!

Der 17. Juni – 36 Jahre lang Nationalfeiertag in der Bundesrepublik Deutschland als Gedenken an den Volksaufstand in der DDR 1953, heute fast vergessen. An dieses Ereignis erinnert Frank Goldammer in seinem 368-seitigen historischen Kriminalroman „Juni 53“, erschienen im Dezember 2019 bei dtv.
Gerade an diesen geschichtsträchtigen Tagen wird – nun schon zum fünften Mal – Max Heller von der Dresdener Kripo an den Ort eines grausamen Verbrechens gerufen: Im VEB Rohrisolation findet man in einem Behälter – mit Glaswolle gestopft wie eine Gans – den Leichnam des ehemaligen Firmeneigentümers, Martin Baumgart. Außerdem gilt ein weiterer Mitarbeiter, Gerd Kruppa, als vermisst. Doch man macht dem Kripobeamten die Ermittlungen nicht leicht; die Mitarbeiter des MfS sähen am liebsten ein politisches Motiv für den Mord, um Querulanten und Aufständische inhaftieren zu können. Dennoch geht der parteilose Heller seinen eigenen Weg und stößt dabei auf Widerstand. Ebenfalls privat steht er vor großen Problemen. Haben er und seine Familie in der noch jungen DDR eine Zukunft? Soll er bleiben oder gehen?
Mich persönlich hat beim Lesen eher das historische Ambiente als der Kriminalfall an sich angesprochen. Wie für die DDR-Politik typisch, wird der Täter erst einmal in den Reihen der politischen Gegner gesucht. Doch auch Bezüge zur noch nicht lange zurückliegenden nationalsozialistischen Vergangenheit werden hergestellt, es werden viele Verdächtige und Motive angeführt, sodass sich der ganze Fall unübersichtlich gestaltet. Hier hat der Autor eindeutig des Guten zu viel getan, um den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Manchmal ist weniger eben doch mehr. Überzeugen und überraschen indes kann die Lösung des Falls, was für manche Widrigkeiten beim Lesen entschädigt und mich dann doch befriedigt zurückgelassen hat.
Sehr eindrücklich ist die Atmosphäre der noch jungen sozialistischen Republik eingefangen: Die Menschen stöhnen ob der schwierigen Versorgungslage und der immer weiter steigenden Arbeitsnormen, die kaum noch ein Mensch erfüllen kann. Auch freie Wahlen fordern die Bürger, sodass die Lage schließlich eskaliert und der Aufstand vom 17. Juni blutig niedergeschlagen wird. Der Ton der Parteibonzen ist rau und unterscheidet sich nur wenig von dem der Nationalsozialisten, Befragungen von Verdächtigen werden kombiniert mit Folter und haben einzig das Ziel, Geständnisse zu erpressen. In diesem Ambiente fällt es Heller schwer, objektive Ermittlungen zu betreiben – vor allem, da Ranghöhere und Mitarbeiter zum großen Teil hinter der Regierung stehen oder zumindest versuchen, sich mit dem Regime zu arrangieren. Doch auch in die Familien treibt die Politik einen Keil, wie man dem Verhältnis Hellers zu seinem Sohn Klaus entnehmen kann; Letzterer steht voll und ganz hinter dem Staat, was zu einer zunehmenden Entfremdung führt. Hauptmann Bech, der sich immer wieder in die Ermittlungen einschaltet, verkörpert den linientreuen MfS-Mitarbeiter, der die Ermittlungen eher erschwert als unterstützt. Darüber hinaus gibt es in diesem Buch parallel die Menschen, die einfach nur versuchen, ihre Nische zu finden, verkörpert z.B. durch Hellers Mitarbeiter Odenbusch, der als junger Ehemann weiß, dass er sich mit den gegebenen Umständen abfinden muss, möchte er sich in diesem Staat eine Zukunft aufbauen. Und ja, natürlich begegnen uns ferner Personen, die der Partei eindeutig ablehnend gegenüberstehen – und dieses teuer bezahlen, was besonders bitter aufstößt, wenn es sich dabei auch noch um Menschen handelt, die schon unter den Nazis zu leiden hatten. Alles in allem präsentiert hier Goldammer ein Bild des jungen Staates, das mit all seinen Grausamkeiten und Beschönigungen realistisch und detailliert gemalt ist – und das eben nicht in Vergessenheit geraten sollte.
Das Ende des Buches legt nahe, dass es noch weitere Bände dieser Reihe geben wird. Dieses stimmt mich ein wenig nachdenklich bzw. kritisch, da ich persönlich für die Figur Heller keine Zukunft in der DDR sehe, sollte er sich der Staatsmacht nicht anpassen, was wiederum schade wäre.
Insgesamt sei zusammengefasst, dass Frank Goldammer mit „Juni 53“ einen Kriminalroman vorlegt, der zeitgeschichtlich hoch interessant und authentisch ist und somit ein Stück deutscher Geschichte lebendig werden lässt, das man nicht oft genug erinnern kann. Auch wenn mich der Kriminalfall an sich nicht völlig überzeugen konnte, empfehle ich das Buch gerne zur Lektüre weiter.


 
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claudi-1963

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29. November 2015
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Dann poste ich jetzt einfach mal meine Rezension unter deiner, den irgendwie scheint es Probleme mit der Anzeige zu geben.

Aufstände und ein brutaler Mord in einer Isolationsfabrik

"Wer sich den Gesetzen nicht fügen will, muss die Gegend verlassen, wo sie gelten." (Johann W. von Goethe)
Juni 1953:
Bei einem Protest in einer Firma für Isolationen wird der Leiter Martin Baumgart brutal mit Glaswolle erstickt. Außerdem fehlt von Gerd Kruppa einem weiteren Mitarbeiter jede Spur. Heller und Oldenbusch ermitteln und bekommen zudem den Genossen Bech von der Stasi zur Seite gestellt, der besonders ein Auge auf Max gerichtet hat. Ist Baumgart gar ein Opfer der Protestbewegung oder steckt ein anderer Täter dahinter? Und nicht nur beim Aufbau der DDR geht alles sehr mühsam und langsam voran, sondern ebenso im Haushalt der Familie Heller. Frau Marquarts Demenz verschlimmert sich zusehends, dadurch gerät nicht nur Karin an ihre Grenzen. Währenddessen spitzen sich die Unruhen im Land zu, immer öfters kommt es zu Auseinandersetzungen, weil die Menschen unzufrieden sind. Doch die SED Regierung greift hart durch und so bleibt vielen nur entweder die Flucht aus dem Land oder zu schweigen. Darum denken Karin und Max immer öfters über eine Flucht in den Westen zu Sohn Erwin nach.

Meine Meinung:
Das gelungene Cover gibt Einblick auf eine unruhige Zeit beim Aufbau der damaligen DDR. Der Schreibstil ist flüssig, informativ und unterhaltsam, jedoch diesmal empfand ich es bisschen verworren, was den Plot anbelangt. Vielleicht liegt es daran, da ich mir bis dahin wenig Gedanken zu der DDR Vergangenheit gemacht habe. Dafür machte es das Geschehen umso spannender, weil ich den Täter bis zum Schluss nicht erahnen konnte. Über den damaligen Volksaufstand von 1953, bei dem viele unzufriedene Bürger der DDR auf die Straßen gingen und es zu einer extremen Fluchtwelle kam, wusste ich bis dahin recht wenig. Die Ignoranz der damaligen DDR Führung gegenüber der Arbeiterklasse, die zusehends unter der extremen Erhöhung der Arbeitsnormen, Armut und Hunger leidet, wird immer extremer. Schuld sind sicher die hohen Ausgaben für Reparationsleistungen und dem Aufrüsten des Militärs. Die zusätzlichen Enteignungen von Höfen, Firmen, anderem Eigentum und die Erhöhung der Abgaben setzt dem Volk außerdem zu. Kein Wunder also das es innerhalb der Bevölkerung zu Protesten kommt. Dadurch kommen viele Bürger in Haft, wo man nicht gerade zimperlich mit ihnen umgeht. Die meisten müssen brutale Folter über sich ergehen lassen, bei denen einige sogar sterben. In diesem Krimi wird wieder ein bedeutender Teil der ehemaligen DDR Geschichte aufgezeigt, den man sicher nicht vergessen sollte. Dass der sonst so ehrgeizige und neutrale Heller zusehends darunter leidet, dass er nicht der Partei zugehört, spürt man hier immer stärker. Ich bin gespannt, wie lange er das noch aushalten kann, ohne das es verheerende Konsequenzen für ihn oder seine Familie geben wird. Im Ansatz spürte ich es auch hier schon, was kommen könnte. Zum Glück hält Kollege Oldenbusch weiter zu Max und sie bleiben bisher noch immer ein gutes Team. Genosse Bech hingegen passt so gar nicht in dieses Team, seine Art wie er mit Heller und den Menschen umgeht gefällt mir überhaupt nicht. Besonders, weil man bei ihm nie weiß, wo man dran ist und was er als Nächstes plant. Hier spürt man sofort die extreme Präsenz der Stasi, die anscheinend überall ihre Augen und Ohren hat. Dadurch wird die Diskrepanz zwischen Max und Klaus ebenfalls immer extremer. Klaus, der durch seine Partei eine regelrechte Gehirnwäsche erhalten hat, ist ständig davon überzeugt, dass sie das richtige tun. Durch seine unfreundliche, bestimmende Art entfremdet er sich immer weiter von seiner Familie. Auch die Demenz von Frau Marquart wird hier gut dargestellt und berührt mich sehr, besonders weil sie für mich ein Teil der Familie Heller ist. Für mich war es diesmal eine etwas verwirrende Geschichte, die mich nicht ganz so überzeugen konnte wie die Bände zuvor. Trotzdem bleibt Frank Goldammer weiter ein bemerkenswerter Autor, dem ich gerne 4 1/2 von 5 Sterne gebe.
 
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