Rezension (4/5*) zu JAB von Un-su Kim

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Männergeschichten...

Ein Mann betrachtet einen alten Boxsack, der in seinem Garten an einem Zweig des Kakibaums hängt. Dieses Überbleibsel aus seiner Jugend ist der Ausgangspunkt für die Geschichte seines Lebens, von der High School bis ins Erwachsenenalter. Als Teenager wurde er von seinem Ethiklehrer zu Unrecht bestraft, weil er die herumwirbelnden Blätter vor dem Klassenzimmerfenster beobachtet hatte. Im Boxen findet der wütende junge Mann ein Ventil und einen Weg, sich der Welt zu stellen. Jab, das ist eine abrupt geschlagene Gerade – hier ist es die Titelgeschichte von Un-su Kims erster Kurzgeschichtensammlung. Darin begegnet man faszinierenden Menschen, die auf ihre Art Helden sind, ob nur für einen Tan oder ihr ganzes Leben lang. Un-su Kims Geschichten zeigen die Auswirkungen der Zeit auf Menschen und auf Dinge. Frei von direkter Gesellschaftskritik und unterschwelligen Botschaften schildern sie, wie die Protagonisten ihr Schicksal meistern – oder daran scheitern. (Klappentext)

Acht Kurzgeschichten des 50jährigen südkoreanischen Autors Un-Su Kim sind in diesem Band versammelt, wobei “JAB” die titelgebende Story ist. Im Mittelpunkt der Erzählungen stehen Männer, deren Leben zumeist von Erfolglosikeit, Mittelmäßigkeit, Scheitern oder Sinnlosigkeit geprägt ist. Kein strahlendes Bild Südkoreas also, sondern Existenzen abseits des angestrebten Erfolgs. Das Leben in Korea ist nicht immer einfach. Leistungsdruck und eine hohe Arbeitsmoral sind allgegenwärtig. Was, wenn man da nicht standhalten kann, seine Arbeit verliert, die Ehe zerbricht, man seinen eigentlichen Lebenswünschen entfremdet wird, dem Alkohol verfällt, sich plötzlich in einer Welt von Hoffnunglosigkeit, Gewalt und Gleichgültigkeit wiederfindet?


“Kim dachte an die tote Erde, in die er sich manövriert hatte. Was hat er mit seinen 40 Jahren erreicht? Ihm fiel nichts Nennenswertes ein. Er hatte es immer eilig, doch die Zeit zog leer an ihm vorbei. Er fühlte sich unsäglich allein und einsam.” (S. 170)


Solcherlei Aspekte verfolgt Un-Su Kim in seinen Geschichten, die Möglichkeiten des Invidiuums angesichts des Hamsterrads rigider gesellschaftlicher Erwartungen und Zuschreibungen beleuchtend. Der Protagonist der Titelstory beispielsweise entscheidet sich bewusst gegen den Erfolgszwang und Leistungsdruck und findet so eine Nische, in der er letztlich zufrieden leben kann. Damit ist er aber auch schon der einzige Hauptcharakter, der einen für sich positiven Weg gefunden hat. Alle anderen kämpfen gegen das Gefühl von Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit an – zumeist vergeblich. Moralischer Verfall, Abstumpfung, Selbstmitleid, Alkoholismus, Suizid – hier wird kein dunkles Thema ausgespart. Das Verhältnis von Nordkorea und Südkorea wird zumindest in einer Erzählung angerissen, die allerdings skurril-kafkaesk daherkommt und somit m.E. allenfalls eine Botschaft zwischen den Zeilen vermittelt.

Dem Autor gelingt es auf jeweils wenigen Seiten, das Erleben und Empfinden des jeweiligen Charakters anschaulich und bildhaft darzustellen, fein beobachtete Momentaufnahmen im Leben von Menschen, denen der Kompass abhanden gekommen ist. Der Schreistil is gekennzeichnet durch seine ungekünstelte Unmittelbarkeit, die durchaus auch ins Grobe abgleiten kann, dann aber wieder mit einer düster-morbiden Poesie aufwartet. Dabei schildert der Autor die Gegebenheiten lediglich ohne zu werten oder zu moralisieren. Sieben der Erzählungen werden aus der Ich-Perspektive des jeweiligen Hauptcharakters geschildert, eine durch einen personaler Erzähler.


"Aber nichts konnte mich davon abhalten zu trinken. Mein Leben ging schneller in die Brüche, als die Promille in meinen Adern stiegen” (S.198)


Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit und ein oftmals exzessiver Alkohlkonsum ziehen sich ebenso wie ein negatives Frauenbild durch die meisten der Kurzgeschichten. Wenn der Verlag schreibt, dass dieser Band “frei von direkter Gesellschaftskritik und unterschwelligen Botschaften” sei, so wage ich das ehrlich gesagt zu bezweifeln und wüsste gern, wie der Verfasser zu dieser Aussage kommt. Das aber nur mal nebenher.

Wie immer bei Kurzgeschichten-Sammlungen hat mich auch diesmal nicht jede Erzählung gleichermaßen angesprochen. Manche ließen mich etwas irritiert zurück, andere stießen mich ab, einige fand ich auf morbide Art auch faszinierend. Doch das Gesellschaftsbild, das der Autor hier zeichnet, so düster es auch sein mag, halte ich für einen wichtigen Fingerzeig. Dabei betrifft einiges sicherlich das schnelllebige und erfolgsorientierte Südkorea, anderes jedoch ist durchaus universal zu betrachten. In jedem Fall bringen die Geschichten zum Nachdenken.

Keine Erzählungen, die man mal eben so runterliest. Wohldosiert allerdings sind sie durchaus empfehlenswert. Auf weitere Werke von Un-Su Kim bin ich jetzt jedenfalls neugierig geworden. Ob seine Thriller wohl ähnlich düster gehalten sind?


© Parden

 

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