Rezension (4/5*) zu JAB von Un-su Kim

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.630
12.864
49
47
Von Alkoholikern, Ganoven und anderen Antihelden

Da ist der Barkeeper, der sich bei den härtesten Gangstern des Viertels anbiedert und zuhause seine Freundin verprügelt. Da ist der Mann, der das Geld für die teure Behandlung seines todkranken Vaters einfach verjubelt. Da ist das Mädchen, das mit nahezu jedem Mann Sex hat, bevor es sich von der Brücke stürzt. Und da ist der Alkoholiker, der für eine neue Wohnung seine Grundsätze über den Haufen wirft und wieder anfängt zu trinken. Sie alle sind gescheiterte oder tragische Antiheld:innen voller Schmerz und Melancholie. Und sie sind die Hauptfiguren in Un-Su Kims Kurzgeschichtenband "JAB", der kürzlich im Europa Verlag erschienen ist.

Während das koreanische Original bereits 2013 veröffentlicht wurde, liegt es nun in der Übersetzung von Kyong-Hae Flügel erstmals auf Deutsch vor. Es ist eine gute Entscheidung des Verlags, der zuletzt schon mit weiteren koreanischen Titeln wie Hwang Sok-Yongs "Vertraute Welt" punkten konnte. Denn Un-Su Kims abwechslungsreiche Mischung ist gleichermaßen unterhaltsam wie schmerzhaft, düster wie skurril und komisch wie tragisch. Kim schreibt schnörkellos und pointiert und entfaltet in vielen Momenten doch eine gewisse Poesie, der man sich schwer entziehen kann.

Insgesamt handelt es sich um acht Kurzgeschichten, von denen nicht alle gleichermaßen qualitativ überzeugen, doch in ihrer Unterschiedlichkeit sollten sie durchaus eine größere Leserschaft für sich entdecken dürfen. Vornehmlich richtet Kim den Blick auf gesellschaftliche Verlierer: Ganoven, Alkoholiker, Opfer von Verbrechen und psychisch labile Persönlichkeiten. Eine wohltuende Ausnahme dieses recht dunklen Cocktails stellt die Titelgeschichte "JAB" dar, die nicht von ungefähr dem Band nicht nur dessen Namen gab, sondern das Buch auch eröffnen darf.

Der jugendliche Ich-Erzähler ist ein Träumer mit Prinzipien. Als er dafür bestraft wird, im Unterricht einen Blätterwirbel angeschaut zu haben, richtet er seine Aggression lieber auf einen Boxsack und versetzt diesem zahlreiche "Jabs" - kurze schnelle Hiebe. Er ist der einzige durchweg liebenswerte Protagonist, der seine Strafe für die Träumerei einfach abarbeitet - und erst spät die strafenden Lehrer durch seine Standhaftigkeit ein Einsehen haben lässt.

Weitere Höhepunkte des Buches sind "Dan Valjean Street", die wie eine düstere Mischung aus Dick Tracy und Twin Peaks daherkommt - mit einer liebevollen kleinen Hommage an Laura Palmer und Co. Eine Erzählung wie ein melancholischer Film Noir mit einem Barkeeper als Protagonisten, der sein Fünkchen Menschlichkeit ausgerechnet einer hungernden Katze gegenüber zeigt. Auch "Das Sofa" überzeugt in seiner Skurrilität und zeigt, welche Auswirkungen es auf einen Menschen haben kann, wenn ein Gegenstand plötzlich zu einer großen Last wird. Das erinnert in seiner Seltsamkeit durchaus an das geniale "Salzfass" von Simon Sailer. Und wenn der Protagonist in "Das verdammte Albumin" bis zum tragischen Finale wirklich alles falsch macht, was man nur falsch machen kann, verharrt man als Leser:in in ungläubiger Resignation.

Nur selten treffen Buch und Autor nicht die richtigen Töne. Beispielsweise in "Eingesperrt im Tresorraum", das trotz des gelungenen Endes mit seiner Knallchargen-Komik nervt. Oder bei den zum Teil etwas seltsam anmutenden Übersetzungen, in denen wie aus dem Nichts plötzlich eingedeutschte Straßennamen auftauchen.

Doch in der Gesamtheit handelt es sich bei "JAB" um einen durchaus lesenswerten Kurzgeschichten-Band, der hoffentlich auch in Deutschland dazu beiträgt, dass der Name Un-Su Kim einen noch höheren Bekanntheitsgrad erfährt. Verdient hätten es Autor und Verlag in jedem Fall.

von: Jarka Kubsova
von: Selene Mariani
von: Marc Raabe