Rezension (4/5*) zu Internat: Roman von Serhij Zhadan

wal.li

Bekanntes Mitglied
1. Mai 2014
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Im Nebel

Pascha ist Lehrer, er hat nichts getan oder gesagt. Wegen einer kleinen körperlichen Einschränkung muss er nicht zum Militär. Und doch kann er den kriegerischen Auseinandersetzungen nicht entkommen. Sein Neffe ist in einem Internat am anderen Ende der Stadt und Pascha soll in in diesen unsicheren Zeiten nach hause holen. In der Stadt ist alles anders, die Straßen sind leer. Der Bus fährt zwar noch, aber beinahe ohne Fahrgäste. Plötzlich ist Pascha nicht mehr sicher, ob er das Internat überhaupt erreichen wird. Mit Mühe erreicht er den Bahnhof, von dem keine Züge abfahren.

Dieser Roman ist erstmalig auf Deutsch herausgekommen im Jahr 2018. Es geht um einen jungen Lehrer in einem Ort der Ukraine, der sich eigentlich aus Politik und Krieg heraushalten will. Doch das Internat, in dem seine Schwester ihren Sohn untergebracht hat, erscheint nicht mehr sicher. Also macht Pascha sich auf den Weg und er erkennt seine eigene Stadt nicht mehr. Überall sind Spuren von Kämpfen zu sehen, Einschläge von Sprengsätzen. Auch Schüsse sind zu hören. Jeder neue Schritt birgt eine Gefahr. Doch inzwischen ist Pascha entschlossen, er wird seinen Neffen abholen.

Im Jahr 2018 hat der Autor mit seinem Roman den Preis der Leipziger Buchmesse verliehen bekommen und aktuell ist das Hörbuch in der Kategorie Bester Interpret für den deutschen Hörbuchpreis 2023 nominiert. Und dies ist keine abschließende Aufzählung. Unter dem Eindruck des heutigen Krieges möchte man wissen, wie der Autor seinen Protagonisten die Handlungen der Kriegsparteien von 2014 sehen lässt. Wenn einem auf einmal jegliche Sicherheit genommen wird und man nicht weiß, wer oder was um die nächste Ecke lauert. Die Sorge um das eigene Leben und auch die Sorge um das Leben der Familienmitglieder. Wie traumatisierend muss es sein auf Tod und Zerstörung zu blicken und letztlich die eigene Stadt nicht mehr zu erkennen. Wer heute immer noch nicht kapiert hat, dass Kriege zu führen kein angemessenes Mittel ist, um überhaupt irgendetwas durchzusetzen, der wird wohl überhaupt nichts mehr kapieren. Insofern ist dieser Roman eine sehr eindringliche Schilderung, wie fremd und gefahrvoll einem die eigene Nachbarschaft erscheinen kann. Und sie sogenannten Befehlshaber sind nicht die, die im Schützengraben sitzen. So ist dieser Roman nicht unbedingt leicht zu lesen, aber in seiner Schonungslosigkeit wichtig.

4,5 Sterne