Rezension Rezension (4/5*) zu Ich bleibe hier von Marco Balzano.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Eine Geschichte von Leid, Widerstand und Mut...

Ein idyllisches Bergdorf in Südtirol – doch die Zeiten sind hart. Von 1939 bis 1943 werden die Leute vor die Wahl gestellt: entweder nach Deutschland auszuwandern oder als Bürger zweiter Klasse in Italien zu bleiben. Trina entscheidet sich für ihr Dorf, ihr Zuhause. Als die Faschisten ihr verbieten, als Lehrerin tätig zu sein, unterrichtet sie heimlich in Kellern und Scheunen. Und als ein Energiekonzern für einen Stausee Felder und Häuser überfluten will, leistet sie Widerstand – mit Leib und Seele.

Trina ist eine junge Lehrerin und lebt in Graun, einem kleinen Bergdorf im Vinschgau. Doch die Zeiten sind düster. Die von Hitler und Mussolini ausgehandelte "Große Option" zwingt sie - wie alle deutschsprachigen Südtiroler - zu einer Entscheidung: entweder ins deutsche Reich auszuwandern oder weiter in Italien Bürgerin zweiter Klasse zu sein. Trina bleibt - obwohl sie in ihrem Dorf nicht als Lehrerin tätig sein darf. Und sie bleibt auch, als nach dem Krieg ihr Dorf einem Stausee weichen soll - einem Energieprojekt, das keine Rücksicht auf Mensch und Natur nimmt...

Eine fiktive Biografie präsentiert Marco Balzano hier und gibt damit einem grausamen Stück Südtiroler Geschichte ein persönliches Antlitz. Identität und Heimat werden hier mehrfach infrage gestellt, und das damalige leise Schicksal der Menschen im Vinschgau steht im Fokus dieses Romans.


"Eines Tages kommt es noch so weit, dass man jemanden umbringen muss, wenn man seine Würde wahren will." (S. 108)


Die Dreiteilung der Erzählung macht deutlich, dass die geschilderte Zeit nicht nur eine einzelne Prüfung für die Dorfbewohner bereit hielt. Der Pakt zwischen Hitler und Mussolini beschert Trina und den anderen Südtirolern 1939 eine Okkupierung. Die Italiener besetzen den Landstrich, erlassen neue Gesetze, verbieten die deutsche Sprache und deklassieren die bisherigen Einwohner. Trina hat gerade ihre Ausbildung als Lehrerin beendet, als ihr Berufsverbot erteilt wird. Viele Landesgenossen verlassen ihre Heimat und wandern nach Deutschland ab - Trina und ihr Mann Erich weigern sich dagegen, sich vertreiben zu lassen und leisten Widerstand im Untergrund.


"Vom ersten Augenblick an hieß es: Wir gegen sie. Die Sprache des einen gegen die des anderen. Die Arroganz der plötzlichen Macht gegen das Pochen auf jahrhundertealte Wurzeln." (S. 32)


Der Krieg erreicht Graun und die anderen Dörfer spät, aber es ist klar, dass sich Trina und Erich in Sicherheit bringen müssen. Sie fliehen in die umliegenden Berge und versuchen, sich unsichtbar zu machen. Sie hoffen darauf, auf andere Widerstandskämpfer zu treffen - und geraten mehr als einmal in Lebensgefahr.

Nach Kriegsende nehmen sie das Leben in Graun wieder auf. Doch nun droht der schon lange geplante Stausee Wirklichkeit zu werden. Eine Umsetzung der Pläne würde den Untergang des kleinen Dorfes bedeuten - und damit den Verlust der Heimat für Trina und Erich. Wird ihr Kampf noch etwas bewirken? Nun, wer das Foto unten sieht - oder eben jenes auf dem Umschlag des Romans - der wird wissen: nein, der Kampf war vergeblich.


"Am Sonntag gingen wir in die Kirche und setzten uns zur letzten Messe auf die Bänke. (...) Von diesem Gottesdienst habe ich kein Wort mitbekommen. Ich war zu beschäftigt, das Unvereinbare zu vereinbaren: Gott und die Verantwortungslosigkeit, Gott und die Gleichgültigkeit, Gott und das Elend der Menschen von Graun..." (S. 268 f.)


Marco Balzano erzählt die Geschehnisse vor allem in den ersten beiden Teilen einerseits distanziert, andererseits aber auch atmosphärisch dicht, so dass den Leser auch bei dem vermeintlich neutralen Schreibstil zeitweise deutliche Emotionen erreichen.

Und auch wenn gerade der dritte Teil, der Abschnitt vom unvermeidlichen Untergang des Dorfes, für mich der schwächste Part war (eher ein Aneinanderreihen von chronologischen Fakten, um die mühsam noch das Korsett der Erzählung gezwängt wurde), passt diese Art der sehr distanzierten Erzählweise doch auch zur innerlichen Versteinerung der Hauptcharaktere.


"Graun war ein Dorf am Rande der Zeit. das Leben stand still." (S. 226)


Eine Geschichte von Leid, Widerstand und Mut - und davon, was Heimat bedeutet. Lesenswert!


© Parden