Rezension (4/5*) zu Herz der Finsternis von Joseph Conrad

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Buchinformationen und Rezensionen zu Herz der Finsternis von Joseph Conrad
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Flussfahrt auf dem Kongo

Kurzmeinung: Anfänge imperialistischer Kritik - ein Zeitzeugnis.


Man sollte die Lebensdaten Conrads (1857-1924) kennen und berücksichtigen, wenn man seine Werke liest. Es wäre auch nicht verkehrt, ein wenig mehr von ihm selbst zu wissen, zum Beispiel, dass er schon in jungen Jahren zur See fuhr und sich vom einfachen Matrosen hocharbeitete, dass er die Welt bereiste. „1886 erhielt er im Alter von 30 Jahren die britische Staatsbürgerschaft. 1888 wurde er Kapitän der Otago; es sollte seine einzige Position als Kapitän sein. Seine Erlebnisse zur See, insbesondere im Kongo und auf den malaiischen Inseln, bilden den Hintergrund seines Werkes.“ So steht es in Wikipedia. „Heart of darkness“ erschien 1902.

Die Handlung:
Ein alter Kapitän, Marlow, erzählt, sich mit einigen Seeleuten auf der Themse befindend, von einstigen Abenteuern, die er erlebte als er den Kongofluss befuhr.

Dass Conrad dabei aus eigener Anschauung schöpft, merkt man an den stimmigen Beschreibungen des Urwalds, den sein Dampfer in der vorliegenden Erzählung befährt. Von unserer heutigen Sicht aus gesehen, ist seine Sprache pathetisch und schwer, seine Ausführungen langatmig, dennoch kann man die Bedrohlichkeit der unberührten Wildnis mit Händen greifen. Da Englisch nicht Conrads Muttersprache ist, kann man ihm seine manchmal umständlichen Wendungen leicht verzeihen.

Nigel Frederick Barley, ein englischer Anthropologe, der sich ausführlicher (als ich) mit "Herz der Finsternis" beschäftigte, sagt: „Das Buch basiert [also] auf Conrads eigenen Erfahrungen als Kapitän eines Flussdampfers auf dem Kongo zur Zeit des Kongo- Freistaats als Leopold II. von Belgien das unermesslich große Land zu seinem persönlichen Eigentum erklärt hatte. Die Einheimischen, die niemals zuvor von Leopold gehört hatten, waren plötzlich seinen unberechenbaren Forderungen ausgeliefert, mussten Gewalt, Verstümmelung und Tod fürchten, wenn sie sich seiner Gier oder der seiner Handlanger widersetzten“.

Was passiert genau?

Der Dampfer holt von einer weit entfernten Niederlassung einen Agenten für Elfenbein ab, einen gewissen Herrn Kurtz. Dieser will das „organisierte“ Elfenbein nicht mehr an seine Company herausrücken und soll deshalb abgesetzt werden. Die Fahrt dorthin, den Kongo hinauf ist beschwerlich, man meistert diese Schwierigkeiten unter anderem mithilfe von angeheuerten „Wilden“, die die Schwerstarbeit verrichten. Belohnt werden sie durch Hunger, denn sie bekommen nichts zu essen, die Heuer besteht in einigen Stücken Draht. Sterben sie unterwegs, werden sie mir nichts dir nichts wortlos über Bord geschmissen.

Conrad schildert ohne große Emotionen und weitgehend ohne Wertung die Ausbeutung des Landes und der schwarzen Menschen.

Vieles wird indessen nur angedeutet. Was hat Kurtz gemacht im Urwald, wodurch erhielt er eine gottgleiche Anbetung oder wurde er nur aufgrund bestialischer Unterdrückung gefürchtet? Der Leser kann sich vieles denken, doch weiß er es nicht so genau; schließlich nimmt man den todkranken Kurtz an Bord. Er ist nicht nur physisch, sondern auch mental an Afrika gescheitert. Das ist die stärkste Aussage des Romans.

„Herz der Finsternis“ wird heute unterschiedlich bewertet. Für seine Zeit ist es bemerkenswert, dass sich Conrad überhaupt der Thematik des europäischen Imperialismus und des Kolonialismus ziemlich ungeschminkt annimmt; und wie realistisch er die Zustände zeichnet. Es gibt keinen Weichspüler in seinem kleinen Buch. Die unmenschliche Gier der Invasoren ist ihr hervorstechendes Charakteristikum.

Fazit: Ein frühes Zeitzeugnis europäischer Ausbeutung und des europäischen Rassismus.

Kategorie: Klassiker der Weltliteratur
Verlag: Penguin Edition, 2022