Rezension (4/5*) zu Happy New Year – Zwei Familien, ein Albtraum von Malin Stehn

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Buchinformationen und Rezensionen zu Happy New Year – Zwei Familien, ein Albtraum von Malin Stehn
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Schlimmes Neues Jahr

Originalität & Einfallsreichtum

Thriller, die an Feiertagen spielen, gibt es reichlich. Ob nun Ostern, Weihnachten oder Sylvester: Familien und Freundeskreise kommen zusammen – und wo Menschen zusammenkommen, kochen die Konflikte hoch. Malin Stehn erfindet das Genre also nicht neu, liefert meines Erachtens aber solide konstruierte Spannung, die nicht auf billige Schockeffekte setzt.

Spannungsbogen

Die Spannung ergibt sich, untypisch für einen Thriller, gar nicht so sehr aus der Frage, was mit Jennifer geschehen ist oder wer die Schuld daran trägt. Tatsächlich ist ein Teil der Auflösung von Anfang an recht offensichtlich, doch das ist sicher beabsichtigt und keineswegs ein Manko. Denn es sind die Charaktere und deren verzwickte Beziehungen, denen man sich als Leser:in kaum entziehen kann.

Oh, die Abgründe, die sich hinter Freundschaften auftun, die wenig mehr sind als schöner Schein. Oh, diese anmaßende Unaufrichtigkeit. Vermeintlich beste Freundinnen lächeln sich zuckersüß an, machen sich hohle Komplimente – und verachten sich insgeheim zu sehr, um ehrlich miteinander zu sein. Eigentlich ist es ein Trauerspiel, denn niemand hier scheint echte, bedeutungsvolle Freundschaften zu pflegen; stattdessen nutzt man jede Gelegenheit, um sich überlegen zu fühlen, wenn auch nur im Stillen. Das Verschwinden von Jennifer ist im Grunde nur der Stein, der schwer in diese trüben Wasser fällt und sie in Wallung bringt, so dass einiges ans Licht gespült wird an Geheimnissen und Lügen. Eins ist klar: Egal was passiert, die Leben dieser Menschen werden nie mehr zur bisherigen ‘Normalität’ zurückkehren können.

Spannend? In meinen Augen durchaus, ich fand diese psychologischen Verstrickungen hochinteressant. Die Auflösung wartet mit einer wirklich überraschenden Wendung auf, die im Rückblick einiges in ein anderes Licht rückt!

Charaktere

Die Geschichte dreht sich um zwei Ehepaare und ihre Töchter: Nina, Fredrik und ihre Tochter Smilla. Lollo, Max und deren Tochter Jennifer. Wie die Jugendlichen ihre Sylvesterparty feiern, das wird Leser:innen nicht unmittelbar berichtet. Aber was wir über die Party der Erwachsenen erfahren, das sagt schon alles über die Persönlichkeiten der wichtigsten Protagonisten. So ist Max zum Beispiel ein neureicher, überheblicher Angeber, und Fredrik ist ein idealistischer Lehrer, der dafür eine gut bezahlte Karriere aufgegeben hat – zack, schon haben wir Konfliktpotential, und davon gibt es ohnehin reichlich. Das ist gekonnt konstruiert und auf den Punkt gebracht. Und von Anfang an ist klar: Fredrik weiß etwas, was an ihm frisst …

Ja, zugegeben: Manchmal erschienen mir die Charaktere etwas zu plakativ gezeichnet, zu übertrieben auf ihre Kerneigenschaften reduziert. Doch gegen Schluss wird das aufgebrochen, denn da kommt die Wahrheit ans Licht und alle Gewissheiten gehen in Scherben – und mit ihnen der schöne Schein. Im Rückblick entpuppt sich die überzeichnete Darstellung der Protagonisten als gewolltes Stilmittel; sie zeigt, wie falsch und oberflächlich die Leben dieser Menschen sind.

Schreibstil

Malin Stehn erzählt die Geschichte in raschen Perspektivwechseln, in einer einfachen, klaren Sprache. Das liest sich leicht und angenehm, und man bleibt als Leser:in immer hautnah an den Charakteren daran.

Fazit

Ein ‘frohes Neujahr’ hat in diesem Thriller niemand: Eine Jugendliche ist verschwunden, ihre beste Freundin macht sich bittere Vorwürfe, und das fadenscheinige Konstrukt der Freundschaft der Eltern gerät ins Wanken. Leise, still und heimlich verachtet man sich gegenseitig, kann sich nicht ausstehen, und hält diese ‘Freundschaft’ doch aufrecht, weil man nichts anderes hat. Vertuschte Einsamkeit in Reinkultur.

Das ist langsame Spannung, psychologische Spannung – mir hat das gut gefallen, auch wenn es nicht unbedingt Lieblingsbuchstatus erreicht. Die Charaktere wirken anfangs etwas flach und überzeichnet, was sich in meinen Augen jedoch als Stilmittel entpuppt: Diese Menschen sind Selbstdarsteller, reduzieren sich innerhalb des Freundeskreises auf bestimmte Rollen. Was mit Jessica tatsächlich geschah, war für mich beinahe zweitrangig; ich wollte wissen, was noch so alles ans Licht kommen würde an schäbigen kleinen Wahrheiten.