Rezension Rezension (4/5*) zu Frostmond: Kriminalroman von Frauke Buchholz.

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
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49
Rhönrand bei Fulda
"Highway of tears"

"Highway of tears" nennt man den über 700 km langen Abschnitt des Highway 16 in Kanada, der von der Stadt Prince George westwärts bis zur Küste führt. Auf diesem Straßenabschnitt wurde seit 1970 eine große Anzahl Frauen ermordet, die meisten indigene Frauen. Viele weitere verschwanden und tauchten nie wieder auf. "Frostmond" von Frauke Buchholz widmet sich einem solchen (hier erfundenen, aber für die Serie typischen) Verbrechen. Das Opfer, die 15jährige Jeannette Maskisin, stammt aus der abgelegenen Cree-Siedlung Niskawini. Das Leben hier ist einförmig und bietet wenig Perspektiven für eine indigene Schülerin: viele Eltern sind arbeitslos, Alkohol und häusliche Gewalt spielen eine große Rolle, eine verschwundene Indianerin interessiert kaum jemanden. Jeanette wollte unbedingt dort weg – und wird in der Großstadt Montreal im St- Lawrence-River angespült: schwanger von einem Unbekannten, gefoltert, missbraucht und ermordet. Der zuständige Ermittler Jean Baptiste LeRoux und der Profiler Ted Garner, aus Regina in Saskatchewan gekommen, sollen gemeinsam den Täter finden.

Die Ermittlung steht von Anfang an unter einem schlechten Stern. Ted Garner ist, da aus dem englischsprechenden Teil Kanadas stammend, im frankophonen Quebec nicht recht willkommen. LeRoux fühlt sich von seinem Job angeödet, hat Eheprobleme und trinkt. Der intellektuelle Anzugträger Garner geht ihm auf die Nerven. Gemeinsam überführen die beiden den Sarg der Toten in ihre Heimatgemeinde, um sich dort umzuhören, aber niemand will ihnen richtig helfen. Neue Impulse gibt es erst, als eine zweite Leiche auftaucht.

Erzählt wird abwechselnd aus der Sicht von LeRoux und Garner. Mit Leon, dem Cousin der ermordeten Jeanette, kommt eine dritte, ganz andere Stimme ins Spiel: Leon hat sich entschieden, nach der traditionellen Weise seines Volkes zu leben, und will den Mörder auf eigene Faust finden, da er - mit einiger Berechtigung - den Behörden nicht traut.

Der Autorin war es ein Anliegen, die alarmierend miserable Situation der indigenen Menschen in Quebec authentisch darzustellen. Dafür hat sie eingehend recherchiert und auch eine Weile in einer Cree-Siedlung gelebt. Dass sie sich auskennt, wird auf jeder Seite des Romans deutlich. Die für uns ungewöhnlichen Schauplätze, eine nächtliche Fahrt auf dem einsamen Highway bei Schnee, der Besuch des abgelegenen Dorfes Niskawini, die Lebensverhältnisse der Indianer werden ebenso authentisch geschildert wie die Gemütslage der beiden Ermittler, die heftige Vorurteile gegen "Indsmen" und ihre Lebensweise haben. Eine kluge Entscheidung war es jedenfalls, mit dem eigenwilligen und in jeder Hinsicht starken Cousin auch einem Angehörigen dieser Gruppe eine Erzählstimme zu geben. Was fehlt, ist die Stimme einer Frau, da es sich bei der Mordserie um Femizide handelt – aber andererseits ist die konsequent männliche Perspektive vermutlich ein getreues Abbild dieses Milieus, in dem sich Frauen kaum behaupten können.

Das Buch bietet eine spannende Handlung, viel Lokalkolorit und einen Blick in eine für uns völlig fremde Welt; in Leons Erzählstrang erfahren wir auch einiges über die Traditionen und Mythen der Ureinwohner. Ein wenig nervig (nur meine Meinung) sind manchmal die Perspektiven der beiden Ermittler, die sämtliche typischen "Männerprobleme" zu haben scheinen, die man haben kann. Im sehr actionreichen Finale müssen sie dafür auch ein paar Federn lassen, aber der Fall – dieser eine von vielen – wird gelöst. Einige unbedeutende Fragen bleiben offen, so dass sich die Leserin auf eine Fortsetzung freuen kann.

Fazit: Ein spannender Krimi, der einige wichtige, bei uns kaum bekannte Verwerfungen in der Bevölkerung Kanadas zum Thema hat. Leseempfehlung!