Rezension Rezension (4/5*) zu Frostmond: Kriminalroman von Frauke Buchholz.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mord an indigenen Frauen

Kanada hat das Image eines freien Landes. Doch für die ursprünglichen Bewohner ist es keineswegs ein Traumland. Aus ihrem früheren Lebensraum vertrieben, wohnen heute viele in entlegenen Reservaten. Der Alltag dort ist trostlos. Die meisten leben in bitterer Armut, bedingt durch die extrem hohe Arbeitslosigkeit. Alkohol und Drogenkonsum gewähren eine gefährliche Fluchtmöglichkeit aus der bitteren Realität. Mit der Hoffnung auf eine Perspektive zieht es vor allem Jugendliche in die Großstädte . Doch der Traum von einem besseren Leben erweist sich oft als Illusion. Viele enden auf der Straße oder in der Prostitution.
Der Highway 16, der sich quer durch Kanadas Westen erstreckt, von den Reservaten in die Städte, hat es zu einer traurigen Berühmtheit gebracht. „ Highway of Tears“ wird er genannt. Seit Jahren verschwinden immer wieder indigene Frauen; die Fälle werden fast nie aufgeklärt.
Vor diesem Hintergrund entwirft Frauke Buchholz ihren Kriminalroman „ Frostmond“. Die Autorin kennt sich aus. Sie hat über zeitgenössische indigene Literatur promoviert und längere Zeit in Kanada verbracht. Dabei hat sie verschiedene Reservate besucht und in einem Cree- Reservat gelebt.
Mitte Oktober wird am Urban Beach in Montreal die Leiche einer jungen Frau angeschwemmt. Wie sich bald herausstellen sollte, handelt es sich dabei um die 15jährige Jeanette Maskisin, eine Cree aus dem Reservat Niskawini. Der Körper des Mädchens weist Misshandlungen auf, die ihr vor ihrer Ermordung zugefügt wurden. Außerdem war sie schwanger.
Da in den letzten Jahren vermehrt junge Frauen indigener Herkunft tot aufgefunden wurden, vermutet die Polizei einen Serienmörder. Deshalb wird der Polizeipsychologe Ted Garner, einer der besten Profiler, hinzugezogen. Er soll gemeinsam mit dem Sergeant Jean-Baptiste LeRoux die Ermittlungen aufnehmen. Die beiden ungleichen Männer sind sich von Beginn an unsympathisch. Der Anglo- Kanadier Garner blickt verächtlich auf den „ Froschfresser“ LeRoux herab. Der wiederum hält wenig von dem arrogant wirkenden Garner. Aber beide eint ihre Vorurteile gegenüber der indigenen Bevölkerung.
Die ersten Befragungen führen ins First Nation Reunion Center, der ersten Anlaufstelle für Indianer in Montreal. Aber hier ist man wenig kooperativ. Zu groß ist das Misstrauen gegenüber der örtlichen Polizei, zu schlecht die gemachten Erfahrungen.
So fliegen Garner und LeRoux für zwei Tage ins weit entfernte Niskawini- Reservat. Hier lebt die Familie der jungen Toten, hier ging sie zur Schule. Doch auch hier erhalten die Polizisten wenig brauchbare Informationen. Da holt sie die Nachricht von einer weiteren Frauenleiche nach Montreal zurück.
Gleichzeitig macht sich Leon Maskisin, ein Cousin von Jeanette und ihr letzter Vertrauter, auf den Weg in die Stadt, um den Mörder zu finden und den Tod seiner Cousine zu rächen.
Frauke Buchholz erzählt ihre Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven, der, der beiden Ermittler, die dritte Stimme gehört dem jungen Cree Leon. Das gibt der Erzählung einen zusätzlichen Reiz. Hier zwei Vertreter des Weißen Kanada - des französisch sprechenden und des englisch- sprechenden Teils - stehen einem Vertreter der Native Nation gegenüber. Vorurteile herrschen auf allen Seiten. Ressentiments zwischen den Weißen, Verachtung zwischen Weißen und Indianern, auf beiden Seiten.
Die Autorin lässt sich am Anfang Zeit, das Umfeld und die Hintergründe ihrer Figuren darzustellen. Auf der einen Seite steht der völlig ausgebrannte Sergeant LeRoux, der seinen Frust mit zu viel Alkohol zu betäuben versucht. Seine Ehe ist wegen seinen ständigen Affären am Ende, in seiner Arbeit kann er keinen Sinn mehr entdecken. Ihm gegenüber steht der unterkühlte und überhebliche Garner, der engagiert die Ermittlungen vorantreibt. Sympathien wecken beide nicht beim Leser, wobei man Garner aber eine gewisse Entwicklung zugestehen muss.
Leon verkörpert einen selbstbewussten Indianer. Er hält sich fern vom Leben der Weißen, kennt die Wurzeln seiner Kultur und versucht, das traditionelle Leben seiner Vorfahren zu führen.
Besonders interessant für mich waren die Textpassagen, in denen die Autorin das Leben der Indigenen beschreibt. Auch das Schicksal des jungen Mädchens hat mich berührt. Dazwischen finden sich immer wieder poetische Beschreibungen der kanadischen Wildnis.
Im zweiten Drittel des Romans gewinnt die Krimihandlung an Fahrt und wartet mit einem spektakulären Finale auf. Das liest sich ungeheuer spannend und so verzeihe ich auch manch unglaubliche Wendung und manches klischeehafte Verhalten.
„ Frostmond“ ist ein packender und gut lesbarer Roman, bei dem man gleichzeitig einiges über die dunklen Flecken Kanadas erfährt. Das positive Bild des Landes bekommt dabei leider einige Risse.

 

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