Rezension Rezension (4/5*) zu Follower von Eugen Ruge.

wal.li

Bekanntes Mitglied
1. Mai 2014
2.713
2.674
49
Zielperson

Als Freiberufler reist Nio Schulz nach China, um einen Auftrag für seine Chefin zu ergattern. Am Ankunftstag wacht er seltsam desorientiert auf. Nach mehreren Ungeschicklichkeiten schafft er es wenigstens ordentlich gekleidet in den Frühstücksraum. Es ist sein Geburtstag und wie in jedem Jahr versucht seine Mutter, die erste zu sein, die ihm gratuliert. Leicht zeitversetzt, ist aus Berichten des BKA und einer europäischen Anti-Terroreinheit zu entnehmen, dass Nio Schulz verschwunden ist.

In der nicht mehr ganz so fernen Zukunft des Jahres 2055 wirkt Nio Schulz wie ein von sozialen Medien und den Informationen seiner Glass-Brille abhängiger Mitläufer. Zwar ist er im Auftrag seines Arbeitgebers unterwegs, aber allzu leicht scheint er sich ablenken zu lassen. Seine Gedanken flirren unsicher umher. Kleinste Reize lösen ein Gedankengewitter aus, das durch die Einspielungen der Brille und der nur halbrealen Umwelt beeinflussbar scheint. Hat Nio Schulz ein Ziel, hat er überhaupt eine Persönlichkeit? Die Gedanken seiner Freundin Sabena hinsichtlich der Gründung einer Familie erschrecken ihn eher. Seine Mutter geht ihm auf die Nerven und seinen Vater hat er nie richtig kennengelernt. Nio Schulz erweckt zwar den Eindruck, er sei kurz vor der Explosion, als stehe er vor einer großen Veränderung. Doch wieso sollte er seine Aggression überhaupt gegen andere richten? Vermutlich ist es sein ausgesprochen unerwartetes Verschwinden, das die Ermittlungen auslöst.

Inwieweit werden wir heute und mehr noch in der Zukunft durch unsere Spuren in sozialen Medien überwach- und kontrollierbar. Durch welche Filter laufen die Informationen und wie werden sie gedeutet? In der Gegenwart, wo wir hoffentlich noch am Anfang dieser Möglichkeiten stehen, ist das durchaus eine Frage, mit der man sich beschäftigen kann. Auch fragt man sich, wer kontrolliert den Kontrolleur? Nach wie vor: das Internet ist eine Postkarte und man sollte sich immer selbst überlegen, was man äußert. Nio Schulz wirkt diesbezüglich etwas gedankenlos, er lässt sich treiben bis er an den Punkt kommt, an dem er ausbricht. Man wünscht sich, er möge sein Ziel finden, sofern er eines hat. Unheimlich ist es, von den Ermittlungen zu lesen, verwirrend Nios Gedanken zu folgen. Man sucht den Zusammenhang, das Ziel, eine Auflösung. Fraglich, ob die Suche von Erfolg gekrönt sein kann, doch zum Nachdenken ist man angeregt, zum Überdenken des eigenen Verhaltens und man empfindet eine Besorgnis ob der schönen neuen Welt, die einem möglicherweise entgegen wächst.