Rezension (4/5*) zu Fischers Frau von Karin Kalisa

Emswashed

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9. Mai 2020
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Buchinformationen und Rezensionen zu Fischers Frau von Karin Kalisa
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Echt, oder Fälschung?

Mit dieser Frage muss sich die Kuratorin Mia Sund beschäftigen, als ihr ein Teppich von außergewöhnlicher Farbe und Symbolik auf den Tisch kommt. Sie ist Faserarchäologin und als solche erkennt sie die Alterung der Fäden und die Ungleichmäßigkeit der Handarbeit. Das Stück ist den Fischerteppichen der Ostsee zuzurechnen. Sie entstanden Ende der 1920er Jahre aus der Not eines dreijährigen Fischfangverbots heraus. Die Fischerfamilien konnten sich mit dem Knüpfen der Unikate über Wasser halten.
Allerdings sind das Grün und Blau des Teppichs sehr ungewöhnlich und als Mia dann auch noch einen umlaufenden Schriftzug im Rand entdeckt, ist ihre Neugier größer als die Angst, aus ihrem selbstgewählten Mittelstandleben herauszutreten. Sie macht sich auf die Reise nach Zagreb, von wo dieser Teppich unaufgefordert gen Greifswald geschickt wurde. Dort trifft sie auf eine, in Auflösung befindliche, Teppichreparaturwerkstatt und auf Milan, der sie bei der Recherche unterstützt.

Bald schon merkt Mia, dass sie nichts mehr an ihren alten Arbeitsplatz zurückzieht. Stattdessen schreibt sie die Geschichte des Teppichs und seiner Knüpferin nieder und beginnt ein neues Leben.

Mit diesem Bruch im Roman, vom fach- und sprachspiellastigen Krimi einer Protagonistin mit belasteter Vergangenheit in Greifswald zum, mit umgedrehten Vorzeichen versehenen, Märchen des Fischers und seiner Frau (Meine Frau die Ilsebill, will nicht so, wie gern will...), verlässt die Autorin auch den Rahmen einer geradlinigen Erzählung. Vielmehr präsentiert sie uns ein Kaleidoskop der jüngsten europäischen Geschichte, mit all seinen Hoffnungen, Schrecken und Aufbrüchen und knüpft sie, bishin zur Neuen Seidenstraße, deren Endpunkte sich über ganz Europa verteilen, zu einem fiktiven Teppich, der mit seiner Außergewöhnlichkeit beeindruckt.

Es ist der sprichwörtliche Wolf im Schafspelz, der vielleicht irritiert, mich aber angenehm überrascht hat. Die Fadenenden des Geküpften sind es, die das Licht brechen und die schillernde Vielfalt der Vergangenheit in seiner ganzen Dimonsion zeigen. Karin Kalisa bezeichnet die Vergangenheit als Brausepulver und die Gegenwart als Glas Wasser, was sie mit diesem Roman eindrucksvoll bewiesen hat. Der Fischerteppich war genau der richtige Aufhänger dafür.

Eine liebevoll gestaltete Europakarte im Vorsatz erleichtert das Hinterherreisen der Protagonisten mit dem Finger.