Rezension (4/5*) zu Feldpost: Roman von Mechtild Borrmann

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
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Historie wird lebendig

Von Mechtild Borrmann kenne ich fast all ihre Bücher, angefangen von ihren Krimis. Für „ Wer das Schweigen bricht“ erhielt sie 2012 den Deutschen Krimipreis.
Ihre weiteren Romane waren allesamt Bestseller. Gekonnt verknüpft sie darin Zeitgeschichte mit einer packenden fiktiven Rahmenhandlung. Führt uns der ebenfalls preisgekrönte Roman „ Der Geiger“ in das Russland der 1940er Jahre, so ist der Ausgangspunkt in „ Die andere Seite der Hoffnung“ die Katastrophe von Tschernobyl. „ Trümmerkind“ und „ Grenzgänger“ spielen in den unruhigen Nachkriegsjahren.
Etwas weiter zurück liegen die dramatischen Geschehnisse von ihrem neuesten Roman „ Feldpost“.
Die Geschichte beginnt allerdings kurz vor Weihnachten 2020. Die Kassler Anwältin Cara Russo sitzt in einem Café und schreibt Weihnachtskarten. Da setzt sich eine fremde Frau zu ihr, verwickelt sie in ein Gespräch über eine vermisste Frau namens Adele und hinterlässt dann einen alten braunen Aktenkoffer. Darin befinden sich einige Feldpost- Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg und ein paar beinahe unleserliche Dokumente. Die Neugierde der Anwältin ist geweckt und sie beginnt Nachforschungen anzustellen.
Der zweite Erzählstrang führt zurück ins Jahr 1935. Die beiden Familien Kuhn und Martens sind befreundet, ihre Kinder Albert und Adele sowie Richard und Dietlinde verbringen viel Zeit miteinander. Das Verhältnis beginnt mit dem Aufkommen der Nazis merklich abzukühlen. Während der Apotheker Martens ein Parteigenosse der ersten Stunde ist, hält der Speditionsunternehmer Kuhn nichts von den neuen Machthabern. Er kommt wegen staatsfeindlichen Äußerungen für zwei Jahre ins Gefängnis, sein Geschäft wird beschlagnahmt. Danach flüchtet das Ehepaar ins Ausland . Zuvor verkaufen sie ihre Villa auf Wilhelmshöhe zu einem symbolischen Preis an den früheren Freund Martens, mit dem Recht auf einen späteren Rückkauf.
Die mittlerweile erwachsenen Kinder Adele und Albert bleiben in Deutschland zurück.
Adele ist schon länger verliebt in den Jugendfreund Richard, doch irgendwann muss sie sich eingestehen, dass diese Liebe nie erwidert werden wird. Denn Richard liebt ihren Bruder Albert. Eine Liebe, die verboten ist und die schreckliche Konsequenzen bei ihrer Entdeckung nach sich ziehen wird. Als Albert untertauchen muss, ist Adele die Botin, die die Liebesbriefe Richards von der Front an ihren Bruder weiterleitet.
Mechtild Borrmann entwickelt ihre Geschichte auf zwei Zeitebenen und aus der Perspektive verschiedener Figuren. Abwechselnd begleitet der Leser Cara Russo bei ihren Recherchen, dann wieder geht es zurück in die Vergangenheit. Dabei hält sie gleichbleibend die Spannung.
Für diesen Roman hat die Autorin im Tagebuch- Archiv Emmendingen recherchiert. Briefe und Aufzeichnungen aus der Nazi-Zeit sind die Grundlage für diesen Roman. Dabei ist Mechtild Borrmann eine eindrückliche und glaubhafte Schilderung jener Zeit gelungen. Sie zeigt, wie die aufkommende Nazi- Ideologie Freundschaften zerstört, welche verheerenden Auswirkungen der Nazi- Terror auf alle Anders- Denkenden hatte. Themen wie Homosexualität, Flucht und Vertreibung, Freundschaft und Verrat werden ganz konkret an den Figuren erlebbar gemacht. Die Sprache ist schnörkellos und trotzdem einfühlsam.
Die „ Auflösung“ am Ende hat mich sprachlos zurückgelassen.
Mit „ Feldpost“ hat Mechtild Borrmann erneut ihr Können bewiesen. Wieder ist es ihr gelungen, in einem spannenden und unterhaltsamen Roman Historie lebendig werden zu lassen.

 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Hab ich für die Schwiegermutter ertauscht. Vielleicht sollte ich auch mal reinlesen:grinning
Klingt interessant, was du hier schreibst.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.400
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Es ist natürlich keine hohe Literatur. Aber wie immer verbindet die Autorin historische Geschehnisse mit einer spannenden Familiengeschichte. Hier zeigt sie auch deutlich, wie sicher man sich fühlen kann, ohne zu bemerken, wie sich die Welt um einem herum verändert. Auch das ist lehrreich für uns heutige Leser.