Rezension Rezension (4/5*) zu Everything I Never Told You von Celeste Ng.

wal.li

Bekanntes Mitglied
1. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Everything I Never Told You von Celeste Ng
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Zum Wohlgefallen

Obwohl James Lee in Amerika geboren ist, wird er immer der Chinese bleiben. Außergewöhnlich in den 1970ern: Er ist mit Marilyn verheiratet, die so blond und weiß ist wie sie eine Amerikanerin nur sein kann. Die ältere Tochter der Beiden ist gerade 16 geworden, sie hat die blauen Augen der Mutter geerbt und das schwarze Haar des Vaters. Und sie ist nicht zum Frühstück erschienen, wie vom Erdboden verschluckt. Schnell wird die Polizei alarmiert und die ganze Familie macht sich auf die Suche. Dabei stellt sich heraus, dass Lydias Leben anders war als alle vermuteten. Freunde hatte sie nicht. Nur wenige Tage nach ihrem Verschwinden wird sie tot im See gefunden.

Was kann nur zu diesem Ereignis geführt haben. Wurde Lydia zum See gelockt und dann umgebracht? An diesen Gedanken klammert sich Marilyn, obwohl keine eindeutigen Hinweise zu finden sind. Hannah, die jüngere Schwester macht sich ihre eigenen Gedanken. Sie, die sich vernachlässigt vorkommt, in der Familie vergessen. Nathan, der Älteste der Geschwister, hat einen Verdacht. Er hat einige der Wege Lydias beobachtet und die ist sie nicht jedes Mal alleine gegangen. Die Eltern sind wie erstarrt, James versucht anzunehmen, was die Polizei ihm sagt. Marilyn dagegen rebelliert. Sie kann und will nicht glauben, dass ihre innig geliebte Tochter anders war als sie sie gesehen hat.

Schon mit dem ersten Satz dieses Romans wird klargestellt, dass Lydia tot ist, dass sie nie wieder zurückkehren wird. Es gibt keine Hoffnung. In ausgeklügelten Rückblenden erfährt der Leser von der Geschichte der Eltern, ihr Kennenlernen, die unerwartete Schwangerschaft, die Ehe, die gegen alle Widerstände doch so lange gehalten hat. Das Leben der Kinder, die als Kinder eines von Chinesen abstammenden Amerikaners und einer aus einer europäischen Einwandererfamilie kommenden Mutter, von Ausgrenzungen bestimmt ist. So richtig gehören sie alle nicht dazu. James Lee, der immer mit dem Moment der Überraschung im ersten Anblick klarkommen muss, den sein Name gerade nicht weckt. Marilyn, die eigentlich studieren wollte, die aber am Herd des Familienheimes gelandet ist. Lydia, auf der alle Hoffnungen ruhen. Nathan, der die Hoffnungen erfüllen könnte, aber einfach nicht die Aufmerksamkeit bekommt. Hannah, die vergessen wird. Beklemmend ist das Bild, das von einer Familie erzählt, deren Mitglieder sich gegenseitig mit ihren Hoffnungen, Wünschen und Erwartungen beladen. Ein Druck unter dem sie eigentlich zerbrechen müssten. Doch kann in der Tragödie auch die Chance liegen zu wachsen? Ein fehlendes Familienmitglied kann nie ersetzt werden, aber möglicherweise kann der Verlust die Augen öffnen und die Überlebenden zusammenwachsen lassen.

Diese feinziselierte Familientragödie fesselt, wühlt auf und berührt. Celeste Ng stößt ihre Leser förmlich in den Teich und gleichzeitig wirft sie ihnen das Rettungsseil zu.

4,5 Sterne