Rezension Rezension (4/5*) zu Er ist wieder da: Der Roman von Timur Vermes.

Marley

Autor
7. Oktober 2014
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Melbourne
Buchinformationen und Rezensionen zu Er ist wieder da: Der Roman von Timur Vermes
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Ihn gab es immer schon

Die altmodische Sprache, in der der Autor Hitler reden lässt, die Art und Weise wie seine Reden gedruckt sind (man hört ihn förmlich sprechen) haben mir gut gefallen. Das Cover ist genial, die Buchgestaltung schön - der erste Buchstabe eines jeden neuen Kapitelanfangs in Fraktur. So etwas fällt auf.
Kaum erwacht ist er nach beinahe 70 jähriger Abwesenheit immer noch auf Eroberung gebürstet, wie sich das für einen Diktator gehört. Er wird für einen Komiker gehalten, einer der kein Skript benötigt, der politisch unkorrekte Ansichten äußert. Stets findet er den Bogen in einer Unterhaltung zur deutschen Geschichte und damit auch zu sich und seiner Anschauung. Das lässt zwar zunächst die Menschen in seiner Umgebung stutzen, aber sie tun es recht schnell als geniales Method Acting ab.
Sowieso hat jeder bei der Filmgesellschaft für die er arbeitet seine eigene Agenda - und Hitler mittendrin als Star, der fleißig an seiner Karriere werkelt und unglaublich manipulativ ist. Er ist begeistert von den modernen technischen Möglichkeiten, die ihm geboten werden, manchmal denkt er wehmütig daran, was er hätte alles mehr und schneller erreichen können, wenn ihm einige dieser Möglichkeiten damals zur Verfügung gestanden hätten. Und somit erfährt der Leser auch, wie ein Diktator denkt, handelt, rechtfertigt, jedoch keinesfalls bedauert und wenn, dann nicht so, wie ein normal empathischer Mensch ohne Ambitionen die Welt zu beherrschen. Er arbeitet besessen daran seinen politischen Einfluss wieder zu erlangen und dabei hat er unfreiwillige Helfer.
Würden die unfreiwilligen Helfer ihn so fleißig hofieren, wenn es sich nicht um die Medienbranche handeln würde? Vermutlich nicht. Vermutlich funktioniert die Geschichte auch nur deshalb. Sie liest sich trotzdem wunderbar. Dabei war Hitler noch nie lustig. Und manchmal lacht man mit einem weinenden Auge. Die Oma seiner Sekretärin - ohne hier zu viel verraten zu wollen, ist in ihrer Handlungsweise für mich unglaubwürdig - Satire hin oder her. Aber wenn man an diese Stelle kommt, hat man das Buch ohnehin so gut wie fertig gelesen und kann wieder aufatmen. Und sich freuen, dass man niemals einen Krieg oder einen Diktator erlebt hat.
Der Gänsehautfaktor liegt für mich nicht nur darin, dass es sich in diesem Buch um Hitler handelt. Er liegt auch darin, dass jeder Mensch seine eigene Agenda - die meisten mögen harmlos, notwendig fürs Überleben sein - verfolgt, aber dennoch ungewollt dazu beitragen kann, dass gewisse Menschen Macht erlangen oder zumindest großen Einfluss nehmen können. Gegen den Strom schwimmen fällt eben oft schwer, wenn man auf seine Arbeit angewiesen ist. Oder ihr ergeben ist. Das wissen auch Diktatoren.
Personen, Bevölkerungsgruppen und Orte sind für mich deshalb austauschbar. Darin liegt für mich auch ein Gruselfaktor.
"Er" war immer schon da. Trotzdem darf man lachen, solange man das kritische Denken dabei nicht vergisst.
Klare Leseempfehlung.



 
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