Rezension Rezension (4/5*) zu Eine Odyssee: Mein Vater, ein Epos und ich - Der internationale Bestseller von.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Auch ein erzählendes Sachbuch kann spannend zu lesen sein...


Als Jay Mendelsohn, pensionierter Mathematiker und 81 Jahre alt, eines Tages spontan beschließt, den Uni-Grundkurs seines Sohnes Daniel zum Thema „Odyssee“ zu besuchen, ahnen beide Männer nicht, dass dies der Beginn einer ganz eigenen Familien-Reise ist. Vater und Sohn folgen auf einer Schiffsroute den Spuren des homerischen Epos – und im Angesicht der eigenen Sterblichkeit überwinden sie ihr gegenseitiges Schweigen.

Ein 3000 Jahre alter Mythos behandelt all die Menschheitsthemen, die uns noch immer bewegen: Familie, Identität, Heimat. Und zugleich weist er einem Vater und einem Sohn den Weg, wieder zueinander zu finden.

Klassiker! Natürlich ahnt jeder, dass es sich dabei um bedeutende Werke handeln muss, die ihre Spuren bis in die Neuzeit hinterlassen. Aber wirklich lesen? Abgesehen einmal von Lesekreisen, die sich genau dies zum Ziel setzen, kenne ich nur wenige Menschen, die sich im Alltag tatsächlich mit Klassikern beschäftigen.

Auf die Odyssee stieß mich zuletzt ein ganz anderer Roman: 'Nichts weniger als ein Wunder' von Markus Zusak. Immer wieder tauchten in dem Roman Anspielungen, Namen, Episoden aus dem antiken Epos auf - und tatsächlich stellte sich die Frage, ob man diesen Roman nicht auf einer anderen Ebene lesen würde, wenn man die Odyssee selbst gelesen hätte.

Aber ernsthaft die Odyssee? Über 12000 Verse in altertümlicher Sprache? Das konnte ich mir dann doch nicht vorstellen. 'Eine Odyssee' von Daniel Mendelsohn versprach da zumindest einen anderen Zugang. Informationen zum Epos, durchaus, aber auch Erläuterungen und v.a. auch Bezüge zur heutigen Zeit. Das klang vielversprechend!

Aber, ach. Was bin ich ungebildet...

Das war mir nach dem 57(!)seitigen Vorwort, dem Proömium klar. Dort schöpfte der Autor aus dem Vollen und lässt den Leser, so er denn nicht gut mit der Odyssee vertraut ist, erst einmal im Regen stehen. Auszüge aus anderen antiken Schriften, Interpretationen einzelner Textstellen, Konjugationen altgriechischer Verben, Etymologie wohin man nur schaut - hui. Ein eher entmutigender Start.

Doch das Durchhalten lohnt sich. Daniel Mendelsohn präsentiert hier zwei parallele Erzählstränge - einmal rund um die Odyssee und das Seminar mit den durchaus interessanten Diskussionen, und einmal rund um das keineswegs einfache Verhältnis zwischen dem Autor und seinem inzwischen über 80jährigen Vater. Wie sich herausstellt, bietet das Seminar und v.a. auch die anschließende gemeinsame Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer - auf den Spuren von Odysseus - eine großartige Möglichkeit für Dan und seinen Vater, einander näher zu kommen.

Mendelsohn gelingt es nicht nur, seinen Studenten und dem Leser Homers Odyssee näherzubringen (Ausschnitte, Interpretationen, Hintergrundwissen), sondern auch nachvollziehbar zu schildern, wie er und sein Vater begannen, sich noch einmal neu kennenzulernen. Der Vater starb ein Jahr nach der gemeinsamen Kreuzfahrt, und dieses Buch - ein erzählendes Sachbuch lt. Verlag - stellt auch den Versuch des Autors dar, den Vater über den Tod hinaus besser und anders zu verstehen und einen Zugang zu ihm zu finden, der ihm lange verwehrt geblieben ist.

Durch die Verflechtung der eher nüchternen und objektiven Beschäftigung mit der Odyssee einerseits und dem persönlichen Anteil des Autors gelingt es Mendelsohn, Homers Werk erstaunlich aktuell erscheinen zu lassen. Die Themen, die sich durch die Odyssee ziehen, beschränken sich nicht allein auf die Zeit ihres Entstehens - sie lassen sich durchaus auch auf die heutige Zeit übertragen.

Es war für mich letztlich interessant, lehrreich, spannend und unterhaltsam, auf diese Art einen Einblick in das antike Epos zu erhalten, Zusammenhänge zu verstehen und die zeitübergreifenden Themen zu erkennen. Der autobiografische Anteil wurde gelungen und entsprechend der homerschen Tradition als Ringkomposition angelegt mit der Odyssee verflochten und brachte so noch einen emotionalen Anteil in das Geschehen.

Ein beeindruckendes Buch, das mich nicht länger eingeschüchtert zurücklässt, sondern durchaus neugierig gemacht hat auf das antike Epos selbst - ja, auf die über 12000 Verse... Ein Projekt...


© Parden




 
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