Rezension (4/5*) zu Eine Liebe in Pjöngjang von Andreas Stichmann

Mikka Liest

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Buchinformationen und Rezensionen zu Eine Liebe in Pjöngjang von Andreas Stichmann
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»Spielzeug. Zirkus. Das clowneske Böse.«

Andreas Stichmann erzeugt in prägnanten Worten ein Bild von der tiefgehenden Fremdheit, mit der Nordkorea auf westliche Besucher wirkt. Das Pjöngjang des Buches ist eine Farce, ein Schauspiel, und jede:r weiß es; alle Beteiligte sind gefangen in ihrer jeweiligen Rolle. Alle lächeln, lächeln, lächeln, aber deinen Pass musst du abgeben, dein Handy hat keinen Empfang. Alle sind so herzlich, so hilfsbereit, aber sag bloß nichts, was nicht ins Skript passt.

Ach, kein Grund zur Sorge, in den letzten Jahren ist nur ein einziger Tourist zu Tode gefoltert worden. Das soll beruhigend klingen für die jungen Menschen, die in Nordkorea Material sammeln für ihre Blogs, ihre Artikel oder einfach den beeindruckend exotischen Lebenslauf. Hier liegt eine große Stärke des Romans, wohl auch, weil dieser Aspekt der Geschichte getragen wird von den tatsächlichen Erlebnissen des Autors.

»Vielleicht, dass es beides war und gar nicht auseinander zu halten: spontan und auswendig gelernt. Gelogen und wahr.«

Abgesehen davon lässt der Roman vieles offen, und am Ende steht die Frage im Raum: Wie echt waren die Gefühle zwischen den beiden ungleichen Frauen? Denn das ist keineswegs eindeutig zu bestimmen. White-Savior-Komplex oder Stockholm-Syndrom, die Deutsche Claudia könnte ihre Gefühle in einer Situation, in der sie ständig unter Druck steht und die jederzeit eskalieren kann, schlichtweg falsch interpretiert haben. Umgekehrt lässt sich nicht eindeutig sagen, inwieweit Sunmi nur ihre Rolle gespielt hat, um Claudia dazu zu bewegen, sich für die Propaganda instrumentalisieren zu lassen. Fest steht, Sumni spielt ein falsches Spiel, aber in welche Richtung geht die Täuschung?

»Flucht? Ein Wahnsinn, der nie so konkret gewesen war.«

Und in dieser Offenheit des Romans liegt seine zweite große Stärke: Stichmann verzichtet auf verkitschte Eindeutigkeiten.

Sogar die Szenen, die aus Sunmis Sicht geschildert werden, sind keineswegs unmissverständlich; die junge Frau trägt schon seit vielen Jahren die ihr anerzogene höfliche Maske, hat die Scharade bis auf Blut verinnerlicht. So sehr Claudia auch nach Gemeinsamkeiten sucht, nach einer möglichen Balance, die Welten dieser beiden Frauen scheinen unvereinbar – oder etwa nicht? In der DDR aufgewachsen, ist Claudia immerhin vertraut mit staatlicher Freiheitsbeschränkung, aber reicht das aus für die Herstellung eines echten Rapports? Bis zur letzten Seite zieht sich ein Soundtrack der furchtsamen Ungewissheit durch die Geschehnisse.

»Schon komisch. Wie wir beide uns jetzt. In diesem Moment. In diesem immer länger werdenden Moment. So bewusst anstarren. So unangenehm bewusst.«

Ob der Frage, wie glaubhaft Sumni als Charakter ist, haderte ich jedoch immer wieder mit mir. Trotz einer komplexen Hintergrundgeschichte wirkte sie auf mich des Öfterens wie eine Ansammlung all dessen, was wir Deutschen von außen, aus einer unvermeidlichen Distanz heraus, über Nordkorea wissen können. Möglicherweise ließe sich diese Distanz letztlich nur von einer Person überbrücken, die in Nordkorea gelebt hat und in der Lage ist, die Wahrheit zu erzählen – die also aus Nordkorea geflüchtet ist. Gerade der Kontrast zu Claudia, die sich sehr authentisch liest, streicht dies umso deutlicher heraus.

Die Sprache ist mal knapp und schnörkellos, geradezu abgehackt, mal geprägt von einer blumigen anachronistischen Rollenprosa – Sumnis hat über deutsche Romantik promoviert (ihre Doktorarbeit ist ein explosives, wucherndes Wortgebilde, das von ihrem Mann direkt aus dem Verkehr gezogen wurde) und spricht ein altmodischeres Deutsch als Claudia. Nur manchmal rutscht der Stil ab ins allzu Gewollte; hier verunglückt ein Vergleich, dort schleicht sich unverhofft ein unnötiger denglischer Begriff ein.

»Bald zogen sich rote Striemen über das Fleisch, unter dem sich drachenhaft die Wirbelsäule versteckte.«
»Den Ginsengschnapps liebte sie inzwischen. Eine scharfe Egalness lag darin.«

Aber im Großen und Ganzen liest sich der Roman sehr flüssig, lehrreich und auf beklemmende Art und Weise unterhaltsam.

 

otegami

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17. Dezember 2021
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Starke Rezi, der ich vollumfänglich zustimme! (Ich habe das Buch vor 8 Monaten gelesen und kam zum gleichen Ergebnis wie Du! ;) )
'Möglicherweise ließe sich diese Distanz letztlich nur von einer Person überbrücken, die in Nordkorea gelebt hat und in der Lage ist, die Wahrheit zu erzählen – die also aus Nordkorea geflüchtet ist.'
Das ist äußerst schwierig, denn viele der Geflüchteten haben noch einen Teil der Verwandtschaft in Nordkorea und wollen die auch schützen. (Sind auch dadurch erpressbar!) Und so bleiben sie in Südkorea oder auch in Japan (weiß ich von meiner jap. Schwieto) immer Außenseiter.
Wenn Dich das Thema interessiert, drücke ich Dir das Buch 'Schatten ohne Licht' von Marcus S. Theis ans Herz! (Das ging allerdings sehr an die 'Nieren'! :cool: )
 

Mikka Liest

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Wunderbare Rezi, liebe Mikka!
Wo ist denn da die Liebe? Zwischen den zwei Frauen Sunmi und Claudia?
Das Buch habe ich schon lange auf dem Radar...
Ja, die Liebe – wenn es denn Liebe ist! besteht zwischen diesen beiden Frauen. Aber eigentlich kennen sie sich ja gar nicht wirklich, sie können kaum mal offen reden, deswegen war für mich immer die Frage, wieviel dieser Gefühle nur Projektionen sind, die im Alltag nicht bestehen könnten. Und was Sunmi betrifft, wieviel tatsächlich vorgetäuscht ist, weil die auf Claudia angesetzt wurde, um die zum Vortragen von Propaganda zu bewegen.
 

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