Rezension (4/5*) zu Eine Laune Gottes von Margaret Laurence

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29. März 2022
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Buchinformationen und Rezensionen zu Eine Laune Gottes von Margaret Laurence
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Besser spät als nie!

Hierzulande war Margaret Laurence mit Sicherheit bis vor kurzem, als der Eisele Verlag begann, die Werke dieser kanadischen Autorin neu aufzulegen, sicher weitgehend unbekannt. Während sie in Kanada lange schon auf einer Stufe mit solch bekannten Autorinnen steht wie Margret Atwood und Alice Munro, beginnt die deutsche Leserschaft gerade erst, ihre Werke zu entdecken. Nach der Lektüre von "Eine Laune Gottes" kann ich nur sagen, dass dies längst überfällig ist. Es ist zu hoffen, dass der Eisele Verlag nach und nach die weiteren Werke der Autorin "ausgräbt" und verlegt.

Interessant ist vielleicht zu wissen, dass Laurence nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrer Tante aufwuchs. Zudem ging sie mit ihrem Ehemann nach Somalia und suchte nach der Trennung in England eine neue Heimat. Zeitlebens soll unter mit Alkoholismus und Depression gelitten haben. Dies könnte eine wichtige Kontextinformation für das Verständnis des Werkes sein.

"Eine Laune Gottes" ist wohl der zweite von insgesamt vier Werken der Autorin, die in Manawake (Kanada) spielen. Es ist die Geschichte der Emanzipation von Rachel Cameron, die viel zu lange festgefügte Strukturen einfach hingenommen hat. Worum geht es konkret?

Rachel Cameron kehrt nach dem Tod ihres Vaters mit ihrer hilfebedürftigen Mutter nach Manawaka zurück und arbeitet dort fortan als Lehrerin an einer Schule. Ihr Leben ist trist und ernüchternd. Zu Hause muss sie permanent die Klagelieder ihrer hilfsbedürftigen Mutter ertragen, die sie auch noch im Erwachsenenalter bevormundet und für ihre Zwecke instrumentalisiert. Statt Dankbarkeit zu zeigen, dass Rachel sich als einzige von drei Kindern um sie kümmert, nimmt ihre Mutter Rachels Aufoperung und Einsatz für selbstverständlich. Die Mutter-Kind Beziehung scheint sehr toxisch. Doch auch im Arbeitsumfeld scheint Rachel von Menschen umgeben, die ihr einfach nicht gut tun. Ihre Kollegin Calla ist übergriffig und penetrant, ihr Vorgesetzer ist unsympathisch und distanzlos. Rachel nimmt all dies hin und erträgt es widerstandslos. Sie ist wohl ein Kind ihrer Zeit, denn der Roman spielt in den 60er Jahren, einige Zeit vor der Emanzipation der Frau. Als Leser möchte man sie schütteln und anschreien, damit sie endlich beginnt, etwas in ihrem Leben zu ändern. Umso mehr, als Rachel eigentlich selbst weiß, dass sie sich wehren und widersetzen müsste. Doch es muss erst etwas passieren, damit Rachel ausbricht. Worum es da konkret geht, soll natürlich an dieser Stelle nicht verraten werden. Aber es hat mit den Folgen und Konsequenzen einer ersten Liebe zu tun...

Insgesamt betrachtet, habe ich das Buch sehr gerne gelesen. Ich kenne das Vorgängerbuch zwar nicht, aber die Buchbeschreibung und vor allem die vielen begeisterten Stimmen haben mich im Vorfeld doch sehr neugierig gemacht. Ich kann diese positive Kritik grundsätzlich gut verstehen, denn sicher ist Laurence eine Autorin, die angesichts ihrer schrifstellerischen Qualitäten ganz zu Recht in einem Atemzug mit Atwood und Munro genannt wird.

Im Grunde genommen ist das ganze Buch ein einziger innerer Monolog, durch den uns Rachel als Ich-Erzählerin unverblümt und selbstkritisch begleitet. Dieses Erzählprinzip ist genial umgesetzt und macht die Geschichte zu einem Erlebnis der ganz besonderen Art. Kein Wort scheint zuviel, jedes Wort ist ganz bewusst so und nicht anders gewählt. Das Erzähltalent von Laurence zeigt sich sehr deutlich und sei hier unbestritten.

Die Charakterzeichnung der Figuren ist ebenfalls sehr gelungen, was sich auch daran zeigt, dass deren Eigentümlichkeiten während des Lesens starke Emotionen erzeugen. Allerdings muss ich sagen, dass bei mir nicht wirklich Mitgefühl für Rachel und ihr Schicksal geweckt wurde. Ich erlebte sie in allererster Linie als sehr anstrengend und auch ein wenig "kindsköpfig" und unreif. Anderen Protagonisten, wie der Mutter und dem Direktor gegenüber empfand ich eher Wut, Calla betreffend dominierte Unverständnis. Ich würde grundsätzlich sagen, dass es ein Erfolg ist, wenn ein/e Autor/in es schafft, solch starke Gefühle auszulösen.

Allerdings muss ich kritisch anmerken, dass ich zum einen die Bezüge auf Glauben und Gott nicht in Gänze verstanden habe. Diese Motive wurden für meinen Geschmack zu wenig ausgearbeitet. Zum anderen überzeugt mich das Ende nicht; es kommt mir letztlich auch zu abrupt. Mit offenen Enden kann ich zwar prinzipiell gut umgehend, aber hier kam mir die Entwicklung zu sprunghaft und plötzlich; auch würde mich da der weitere Entwicklungsweg von Rachel interessieren.

Letztlich bin ich aber sehr dankbar, dass ich diesen Roman und damit eine sehr interessante Autorin entdecken durfte. "Eine Laune Gottes" bleibt in meiner Lesebiografie sicher nicht das einzige gelesene Werk von Margaret Laurence. Ich kann dieses Buch nahezu uneingeschränkt weiter empfehlen, wobei es wichtig ist, bei der Lektüre die damaligen Zeiten mit ihren prägenden Strukturen im Hinterkopf zu behalten. Sehr lesenswert!



 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Da kriegt man richtig Lust, auch mal Margaret Lawrence zu lesen - allerdings braucht man vllt "die Couch" - man wird ja von diversen Gefühlen geschüttelt. Wer braucht ein eigenes Leben, wenn er Bücher hat? ;-).